: „Kein Schuss Pulver wert!“
So kann es in Deutschland nicht weitergehen: Jetzt greift der Alte Fritz endlich ein
Wie es der Alte genau geschafft hat, wird wohl ein Rätsel bleiben. Deutschlands Entscheidungsnöte waren offenbar so groß geworden, dass sich die Pforten der Hölle aufgetan und den Retter ausgespuckt hatten. Seine schwere goldene Kutsche parkte souverän auf dem gepflegten Rasen vor dem Reichstagsgebäude. Die eisenbeschlagenen Räder hatten tiefe Gräben ins unschuldige Grün gepflügt. Die Leibregimenter erledigten die verschlafenen Parlamentshüter im Handstreich und bahnten ihrem Herrn den Weg in den Plenarsaal.
Er hat sie alle überrumpelt wie 1740. Ohne einen Schuss war er damals in Schlesien eingerückt. Einfach so, wie er seinem Kumpel Voltaire steckte, weil er die günstige Gelegenheit erkannt und einfach Lust verspürt hatte, Geschichte zu machen. Voltaire hatte ihm die Freundschaft gekündigt. Man kennt das ja. Wenn es Probleme gibt, schießen die Kritiker wie Pilze aus dem Boden.
Es war ihm anzusehen, dass er einiges hinter sich hatte. Die Parlamentsdiener wichen instinktiv zurück. Weniger vor seiner legendären Größe als vielmehr vor seinem Odeur. Die verhutzelte Gestalt stank bestialisch. Er schien sich sein großes Leben lang nicht gewaschen zu haben, und erst die Klamotten – diese alte blaue Militäruniform mit dem komischen Faschingsorden, die zerschlissene rote Schärpe, der Dreispitz mit geknickter Kranichfeder, die Stulpenstiefel … ach reden wir nicht davon. Dicke Büschel Schnupftabak hingen ihm im Dreitagebart.
Er schnaubte indigniert, als ihm einer seiner Flügeladjutanten erklärte, was es mit dieser Kanzlerwahl auf sich hatte. Was stand in diesem komischen Land zur Auswahl? Ein eitler Geck und Modeaffe dem Anschein nach und ein wildgewordenes Weibsbild, das offenbar nicht recht bei Sinnen war, sich in die Sphären der Weltpolitik einmischen zu wollen. Mit ehrgeizigen Damen auf den Thronen kannte er sich aus. Das waren immer die härtesten Gegner gewesen. Aber zu seiner Zeit waren das andere Kaliber gewesen, mon dieu!
Ein hagerer, hüstelnder Bayer näherte sich ihm in devoter Haltung, die triefende Geiernase der Machtgier im Antlitz, faselte etwas von „Majestät, halten untertänigst zu Gnaden …“ Er schubste ihn unsanft mit seiner Krücke aus dem Weg und erklomm den erhöhten Punkt, von dem sie in diesem seltsamen Bauwerk ihre sorgsam einstudierten Volksreden zu halten pflegten. „Messieurs“, hob er an, setzte auch ein spöttisches „Mesdames“ hinzu, „dieses von Canaillen zerfressene Land seindt keinen Schuss Pulver wert! Tausend gemeine Plagen drohen dem Rest von Größe, die mein Preußen einst ausgezeichnet, vollends den Garaus zu machen. Die Siechen können ihre Versorgung nicht bezahlen, die Schulen und Waisenhäuser liegen darnieder, der gemeine Mann findet kein Auskommen, das Militär seindt eine randständige Erscheinung geworden, das sich die Zeit mit auswärtigen Policeypossen vertreibt und die Künste und die Philosophie …“ Sein Seufzer kam von Herzen. Er schlug mit der Krücke gegen das wegknickende Mikrofon und kam zum Schluss: „Mir seindt es deshalb für an der Zeit erschienen, die Geschicke wieder selbst in die Hand zu nehmen. Da sie dankenswerterweise das Schloss meiner Väter beseitigt haben, das mir stets verhasst gewesen, werde ich wie früher in Charlottenburg residieren. Messieurs, Dames …“
Das schmutziggraue Wildleder seiner Handschuhe jagte den verschüchterten Exparlamentariern einen Schauder über den Rücken. Sein klirrender Auftritt bedeutete allen, was die Stunde geschlagen hatte. Eine ganz gewisse Dame bekam so ganz nebenbei, was sie wollte. Jetzt würde durchregiert! Jetzt würde durchregiert! Endlich. TOM WOLF