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Archiv-Artikel

„Polens politische Elite war korrupt“

Die Wähler haben die linken Parteien für ihre Unfähigkeit und Raffgier bestraft und sind darum zu den Rechten gewechselt. Die Partei der Kaczyński-Brüder vertritt nationalistisch-katholische Ansichten – antisemitisch ist sie nicht

taz: Warum haben in Polen bei den Parlamentswahlen die Rechten gesiegt?

Aleksander Smolar: Warum sollten sie nicht? In Polen ist es fast schon eine Regel, dass nach einer linken Regierung wieder eine rechte drankommt. In Frankreich gibt es ein ähnliches Wahlverhalten. In den letzten 25 Jahren ist nicht ein einziges Mal dieselbe Partei wiedergewählt worden.

Was haben die Linken diesmal falsch gemacht?

Das war eine regelrechte Autodestruktion, die sich da vor unseren Augen abgespielt hat. Während die Arbeitslosigkeit immer weiter stieg – wir haben in Polen inzwischen die höchste Arbeitslosenrate in ganz Europa –, bereicherten sich die Linken in unverschämter und krimineller Art und Weise. Die politische Elite war korrupt.

Sind die Rechten, die vor vier Jahren nicht einmal den Wiedereinzug ins Parlament schafften, denn besser?

Die waren nicht korrupt, sondern regierungsunfähig.

Besteht denn eine Aussicht darauf, dass sie ihre Aufgabe diesmal besser bewältigen werden?

Es sind zwar oft dieselben Leute, die jetzt wieder angetreten sind. Aber die Formationen haben sich geändert. Aus der stark gewerkschaftlich orientierten Wahlaktion Solidarność sind zwei Parteien mit sehr klarem Profil hervorgegangen: die Recht und Gerechtigkeit (PiS) ist eine sehr traditionsorientierte Partei mit starker Betonung patriotischer Werte, aber auch einem guten Schuss Wirtschaftsliberalismus. Die Bürgerplattform (PO) hingegen ist eine klassische liberale Partei mit einem ausgeprägt neoliberalen Wirtschaftsprogramm.

In der fundamentalkatholischen Zeitung Unser Tagblatt erschien kurz vor den Wahlen ein großes Interview mit Jarosław Kaczyński. Auch der nationalistische Pater Rydzyk von Radio Maryja unterstützte PiS in seinen Sendungen. Ist PiS also nationalistisch-katholisch?

Das ist kompliziert. Jarosław und Lech Kaczyński haben nie zu den Rechtsradikalen in Polen gezählt. Sie haben diese auch nie unterstützt oder selbst nationalistisch-katholische Ansichten vertreten. Auf der anderen Seite hatte Pater Rydzyk bisher immer kleine rechtsradikale Parteien unterstützt, denen aber in Umfragen vor der Wahl Stimmverluste vorhergesagt wurden. Von den großen Parteien war ihm die traditionsorientierte und auch sehr katholische PiS näher als PO oder gar das Bündnis der demokratischen Linken. Also unterstützte er in seinen Medien PiS.

Kaczyński fischte also seine Wähler erfolgreich am rechten Rand?

So wie das in Deutschland die CDU und CSU auch tun. PiS wird aber sicher versuchen, eine rechte Volkspartei zu werden, in der auch katholische Fundamentalisten eine Heimat finden können. Es gibt allerdings eine Grenze. Anders als bei Radio Maryja wird es in der PiS keinen Raum für Antisemitismus geben. Das liegt völlig außerhalb der katholischen Werte, wie sie die Kaczyński-Brüder vertreten.

Was ist denn beispielsweise mit dem Verbot der Love Parade in Warschau durch den Oberbürgermeister Lech Kaczyński?

Das hat Lech Kaczyńksi sehr geschadet. Vor allem international, auch in Brüssel, ist er mit diesem Verbot der Schwulenparade unangenehm aufgefallen. Aber tatsächlich gehört die Ablehnung Homosexueller zum heute aktuellen Wertekanon der katholischen Kirche. Das mag man ablehnen – ich tue dies –, aber die Ablehnung sexueller Minderheiten ist noch immer etwas anderes als eine fundamental katholische oder gar antisemitische Politik.

Vor kurzem hat Lech Kaczyński Deutschland und Russland als die gefährlichsten Gegner Polens bezeichnet. Steuern wir unter Lech Kaczyński auf einen neuen Kalten Krieg zu?

Im Falle Russlands ist die Sache klar. Es gibt einen breiten Konsens in der polnischen Gesellschaft, dass Russland seine imperialen Ansprüche noch nicht aufgegeben hat. Deutlich wurde dies zuletzt, als in der Ukraine die Wahlen gefälscht wurden, um einen Putin-freundlichen Kandidaten durchzusetzen. Polen hat die orangene Revolution unterstützt, also die Demokratie. Russland war dagegen, weil es noch immer imperiale Interessen in der Ukraine hat. Deutschland etwa hat zu den Vorgängen in der Ukraine einfach geschwiegen.

INTERVIEW: GABRIELE LESSER