Seeleute legen den Hafen von Marseille lahm

Frankreich will die Fährgesellschaft SNCM an einen Investmentfonds verkaufen. Dabei predigt die Regierung sonst „ökonomischen Patriotismus“

Streik-Piraten haben ein Schiff entführt und sind seit gestern mit der „Pascal Paoli“ in Richtung Korsika unterwegs

PARIS taz ■ „Ein gigantischer Finanzbetrug“, sagt CGT-Gewerkschafter Jean-Paul Israël. Anlass des Ärgers ist der Verkauf der staatlichen Fährgesellschaft an einen franco-amerikanischen Investmentfonds: „Wir werden mit ruhiger und maßvoller Wut antworten.“ Ein paar Stunden später versucht die Polizei die streikenden Seeleute von ihrem Arbeitsplatz zu vertreiben. Erfolglos. Seit gestern ist Frankreichs größter Hafen blockiert. 36 Schiffe konnten gestern nicht auslaufen. Der Personenverkehr war ebenso betroffen wie die Öl- und Frachthäfen.

Quer über die Einfahrten haben die Streikenden Barrikaden gebaut. Tief im Hafeninneren haben korsische Arbeiter, Mitglieder einer nationalistischen Gewerkschaft, sogar ein Schiff entführt. Seit gestern Mittag sind die Streik-Piraten mit der „Pascal Paoli“ in Richtung Korsika unterwegs.

Grund für die Aufruhr im Hafen ist die Privatisierung der „Société Nationale Corse-Méditerranée“ (SNCM). Der Staat will das öffentliche Unternehmen an die Investmentgesellschaft „Butler Capital Partners“ abgeben. Der Kaufpreis: 35 Millionen Euro. Dafür darf der Aufkäufer auch 400 der 2.400 Beschäftigten der SNCM entlassen. Und erhält eine ordentliche Mitgift: Zum Abschied steckt der französische Staat noch mal 115 Millionen Euro in die SNCM. Zur Rekapitalisierung. „Das ist, als würde man sein Haus verkaufen und dem Käufer noch Geld dazugeben“, schimpft ein Seemann im Hafen von Marseille und beklagt „die Zerschlagung des öffentlichen Dienstes“.

Die SNCM hat eine der ansehnlichsten Flotten des Mittelmeers. Spezialisten schätzen ihren Wert auf 450 Millionen Euro. Seit 25 Jahren pendeln die Fährschiffe der Gesellschaft zwischen Toulon und Marseille sowie Korsika und Algerien hin und her. Seit die EU in den 90er-Jahren die Öffnung des Schiffverkehrs für den Wettbewerb beschlossen hat, ist das öffentliche Unternehmen immer tiefer in die Krise geschippert. Im vergangenen Jahr betrugen seine Verluste knapp 40 Millionen Euro. Angesichts dieser Lage, so der Regionalpräfekt Christian Frémont, „gibt es nur die Alternative Privatisierung oder Schließung der SNCM“.

Dabei hat der französische Regierungschef Dominique de Villepin hat erst im vergangenen Juli den „ökonomischen Patriotismus“ gepredigt. Damals war nicht nur die Wirtschaft, sondern das ganze Land wegen einer vermeintlich bevorstehenden „feindlichen Übernahme“ des französischen Joghurtherstellers Danone durch den US-amerikanische Pepsico-Konzern in Aufruhr. Wenig später veröffentlichte de Villepin eine Liste von zehn „Schlüsselbranchen“, in denen er keine ausländischen Übernahmen dulden will. Dazu gehören Militär- und Abhörgeräteproduzenten, aber auch so wenig patriotische Betriebe wie Spielkasinos.

Für öffentliche Transportunternehmen hingegen gilt der „ökonomische Patriotismus“ offenbar nicht. Das wollen die wütenden Seefahrer nicht hinnehmen. Unterstützt werden sie bei ihren Protesten von zahlreichen Oppositionspolitikern. Die Chefin der KPF, Marie-Georges Buffet, verlangte gestern in Paris den sofortigen Stopp des Verkaufs der SNCM und einen „runden Tisch“, um für eine Rettung des Unternehmens Alternativen zu debattieren. Walter Butler, der Chef des nach ihm benannten Investmentsfonds, hingegen erklärte im französischen Fernsehen, der Staat habe die SNCM bei insgesamt 70 potenziellen Aufkäufern angeboten. Am Ende habe er das „beste Angebot“ gemacht. Butler Capital Partners ist auf den Aufkauf von kriselnden Unternehmen spezialisiert. Der Fonds macht sein Geld unter anderem mit Meinungsforschung, Werbung und dem Gütertransport. Durchschnittlich behält Butler die Krisenunternehmen sieben Jahre. Dann stößt er sie wieder ab. Allerdings ohne Geschenke an die Aufkäufer.DOROTHEA HAHN