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Archiv-Artikel

Das Montagsinterview„Ich will wissen, wo die Klischees liegen“

Der französische, in Hamburg lebende Videokünstler Youssef Tabti ist sesshaft und mobil zugleichPOLITISCH ODER PRIVAT Jahrzehntelang hat er nicht über seine Herkunft gearbeitet. Dann hat Youssef Tabti, dessen Vorfahren algerische Berber sind, es mit der Videoinstallation „Muezzin“ doch getan. Und harsche Reaktionen von Publikum und Kollegen geerntet. Genau das war sein Ziel

Youssef Tabti, 41

ist in Paris aufgewachsen, verbrachte als Kind aber immer wieder lange Monate in Algerien. Späte studierte er Kunst und Kunstgeschichte, lebte mehrere Jahre in Südfrankreich und erhielt verschiedene Stipendien.

■ Erste interdisziplinäre Arbeiten entstanden 1992

■ Genderpolitische und rezeptionsästhetische Fragen behandeln Videoarbeiten wie „Vom Warten auf den versprochenen Augenblick“, die literarische Vorlagen verarbeiten. Tabti wirkt regelmäßig an Opernprojekten mit

■ Die umstrittene Videoinstallation „Muezzin“, die einen arabischen Gebetsrufer und einen gehörlosen deutschen Journalisten konfrontiert, stellte Tabti 2007 fertig

■ Tabti arbeitet in Paris, Montpellier, Berlin und Hamburg, wo er seit 15 Jahren wohnt

INTERVIEW PETRA SCHELLEN

taz: Herr Tabti, sind Sie ein politischer Künstler?

Youssef Tabti: Als politischen Menschen würde ich mich nicht bezeichnen. Ich gehe selten auf Demonstrationen. Meine Arbeit dagegen ist fast nur politisch. Aber im Alltag kann ich schon deshalb nicht politisch sein, weil ich hier nicht wählen kann – obwohl ich seit 15 Jahren hier lebe.

Hierfür müssten Sie neben der französischen die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen.

Ja. Aber ich finde, eigentlich müsste es reichen, wenn ein Mensch so lange in einem Land lebt. Ich habe mir allerdings nie die Frage gestellt, ob ich die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen soll. Das wäre ein großer Schritt für mich.

Das wichtigste politische Thema Ihrer Kunst?

Das ist sehr unterschiedlich. Das Video „Orlando“ behandelt die Genderproblematik. Und in meiner Arbeit „Muezzin“ geht es um Identität, Vorurteile und Klischees. Die Installation besteht aus zwei Videos: Da ist einmal ein Mann, der auf Arabisch Gebete ruft. Andererseits ein gehörloser Journalist, der in Gebärdensprache über den Islam in den Medien spricht.

Aber mit dem Muezzin bedienen Sie doch das Klischee!

Ja, damit spiele ich ganz bewusst. Ich wollte aufzuzeigen, wo die Klischees liegen – damit der Betrachter sich dieselbe Frage stellt. Tatsächlich gab es auf „Muezzin“ interessante Reaktionen. Viele fanden ihn plakativ. Und das ist das Interessante: Welches ist der erste Impuls, wenn man so etwas sieht? Andererseits ist da der gehörlose Journalist – und auch hier fragt man sich unwillkürlich, was er da tut. Die Gebärdensprache ist, wie das Arabische, für viele ein fremdes Universum. Diese Arbeit mag zunächst plakativ wirken. Dann aber fängt man an, die eigenen Reaktionen zu reflektieren. Einige Besucher wurden zum Beispiel wütend. Sie fühlten sich durch die arabische Sprache angegriffen.

Weil sie den Islam bedrohlich finden?

Ich weiß es nicht genau. Mir ist natürlich klar, dass einige aggressiv auf diese Zeichen reagieren. Aber die wahren Gründe ihrer Empörung kennen sie vielleicht nicht einmal selbst. Man steht also vor diesen Leuten und weiß nicht, wo das Problem eigentlich liegt. Allerdings gab es auch unter Künstlern Widerstand. Sie fanden die Arbeit nicht differenziert genug.

Warum haben Sie das Thema gewählt?

Es ging mir um Vorurteile. Ich wollte herausbekommen, wie man damit arbeiten kann – und wie weit man sicher sein kann, davon frei zu sein. Zufällig hat es sich ergeben, dass auch der Islam zum Thema wurde – der ja Teil meiner Herkunft ist. Einfach war es für mich nicht, plötzlich mit der eigenen Geschichte konfrontiert zu sein. Zumal ich bis dato nie über meine Herkunft gearbeitet hatte: über den Islam und über Afrika. Mein Vater kommt aus Nordafrika, aus Algerien. Meine Mutter ist Französin, und ich bin in Frankreich aufgewachsen. Ich bin eher Franzose als Algerier, obwohl ein Teil von mir stark von Algerien geprägt ist.

Welches ist Ihre Religion?

Ich habe keine. Mein Vater kam vor dem Zweiten Weltkrieg nach Frankreich, ebenfalls ohne Religion. Meine Mutter ist katholisch. Ihre Familie war gegen die Heirat, und meine Mutter musste quasi aus ihrem Dorf nach Paris flüchten. Sie hat ihre Familie Jahrzehnte nicht gesehen.

Was bedeutet Ihnen Algerien?

Als ich klein war, war ich sehr oft dort. Algerien und Frankreich – das waren zwei komplett verschiedene Welten, das habe ich noch in Erinnerung. Auch dachte ich als kleiner Junge, dass die Menschen in Algerien Indianer wären – wegen der Tätowierungen, die sie als Berber trugen.

Wie verständigten Sie sich mit ihren Verwandten in Algerien?

Meist auf Französisch, gelegentlich in der Berbersprache Kabylisch. Die spreche ich aber nicht fließend.

Wie leben Ihre Verwandten?

Sie sind sesshafte Berber. Es gibt mehrere Berberstämme, die zwischen den kanarischen Inseln und Ägypten leben. Sie sind die Ureinwohner Nordafrikas, haben ihre eigene Sprache und Kultur und wurden zu allen Zeiten kolonisiert. In Algerien dürfen die Berber in der Schule immer noch nicht ihre Sprache sprechen. Das ist ein großes Problem.

War es für Sie ein Problem, zwischen beiden Welten zu pendeln?

Nein. Natürlich waren die Unterschiede riesig: In Algerien war man überwältigt von Farben, Gerüchen, Sound. Wenn ich dann zurück nach Paris kam, war da ein ganz anderer Sound. Auch schön, aber anders. Damit hatte ich kein Problem. Ich hatte nie Sehnsucht, auch hier nicht. Die Frage, nach Paris zurückzugehen, stellte sich mir hier in Hamburg zum Beispiel nie.

Wo fühlen Sie sich zuhause?

Ob ich mich an einem Ort wohl fühle, hängt vom Freundeskreis ab, von der Umgebung – und davon, wie ich mich körperlich und mental fühle. Es hat nichts mit der Schönheit der Stadt zu tun. Natürlich ist es angenehm, wenn man aus der Tür tritt und schöne Häuser sieht. Aber was man schön findet, hängt ja auch von der eigenen Haltung ab.

Haben Sie nie Sehnsucht nach anderen Orten?

Nein. Wobei ich natürlich manchmal denke, jetzt würde ich gern dieses Bistro besuchen oder jenen Freund treffen. Aber das bleibt im Rahmen. Als ich mit 20 Paris für Südfrankreich verließ, war mir zum Beispiel klar: Ich kann es nicht mehr aushalten! Ich hatte Kopfschmerzen, es war stressig, ich wollte ein leichteres Leben haben. In Südfrankreich blieb ich vier Jahre. Aber auch da dachte ich irgendwann: Es reicht mir! Es könnte auch sein, dass ich nächstes Jahr Hamburg verlasse, weil ich denke, jetzt habe ich meine Zeit hier abgeschlossen.

Woran merken Sie, dass „es reicht“ an einem Ort?

Das ist, glaube ich, das Problem. Ich habe an vielen verschiedenen Orten gelebt. Ich hatte auch einige Stipendien, die mich woanders hinführten, und dort habe ich mich immer wohl gefühlt. Im Künstlerhaus Lauenburg zum Beispiel, wo ich die Elbe ganz neu erlebt habe; die Schiffe fuhren quasi direkt vor meinem Fenster vorbei. Überwältigend! Andererseits gab es dort viele engagierte Leute, die für den Erhalt des Künstlerhauses kämpften. Wenn man dort wohnt, wird man hineingezogen, muss eine Haltung finden. Das war gut, weil ich eine neue Seite meiner selbst kennen gelernt habe: Wie bereit bin ich, Zeit und Einfluss in politisches Engagement zu investieren?

Nämlich?

Es variiert. Ich habe Künstlerkollegen erlebt, die sich einschlossen und damit nichts zu tun haben wollten. Ich kritisiere sie nicht, denn ich selbst weiß vorher nie, wie ich reagieren werde. Ich habe natürlich eine Meinung. Aber ich bin nicht jemand, der von vornherein sagt, ich werde das und das konkret machen. So engagiert war ich nie. Das hängt vielleicht mit dem zusammen, was meine Familie während des Algerienkriegs erlebt hat, über den wir viel diskutiert haben. Und in Paris gab es in dem Umfeld, in dem ich aufwuchs, viele verschiedene Religionen und Herkünfte. Da hörte man alle Positionen, da faltete sich die ganze politische und soziale Dimension auf. Vielleicht bin ich deshalb so vorsichtig im Urteilen.

Was hat Ihre Familie während des Algerienkriegs erlebt?

Mein Vater war aufgrund seiner Herkunft mehrmals im Gefängnis.

Ist der Algerienkrieg ein Trauma in Ihrer Familie?

Nein. Unsere Familie war natürlich dagegen, und ich bin mit einigen schrecklichen Geschichten aufgewachsen. Andererseits weiß ich, dass viele Franzosen gegen diesen Krieg waren. Es gab Demonstrationen, einige Politiker waren dagegen, Intellektuelle haben sich gewehrt. Das wird oft vergessen.