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Archiv-Artikel

„Die Bauchbefindlichkeit treibt nach links“

Der Schwenk nach links ist falsch, meint der grüne Intellektuelle Hubert Kleinert. Probleme werden in der Mitte gelöst

taz: Herr Kleinert, steht die neue Fraktionsspitze mit Renate Künast und Fritz Kuhn für eine künftige Offenheit nach allen Seiten – also auch zur CDU?

Hubert Kleinert: Ich verstehe die Äußerungen der vergangenen Tage so, dass eine gewisse Öffnung angestrebt wird. Das ist auch nötig, denn das rot-grüne Lager existiert ja so nicht mehr.

Dass die Grünen die große Koalition aus Union und SPD so schnell akzeptiert haben, wird mittlerweile kritisiert. Kann nicht auch eine Zusammenarbeit zwischen SPD, Grünen und Linkspartei eine realistische Machtoption sein?

Derzeit nicht. Alles, was ich von der Linkspartei höre, erinnert mich an die 1970er-Jahre. Natürlich ist ihre Kritik an manchen Punkten der Hartz-Reform nachvollziehbar. Aber wir leben in einer globalisierten Wirtschaft, die einen ungeheuren Druck ausübt – auch auf die staatlichen Haushalte. Da kann man nicht mehr so tun, als würden ein paar nationale Konjunkturprogramme reichen, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen und jede Menge neue Arbeitsplätze zu schaffen. Und wir haben es mit demographischen Veränderungen zu tun, die schwerwiegende Probleme für die sozialen Sicherungssysteme schaffen.

Kann Rot-Rot-Grün denn eine Variante für die Zukunft werden?

Wer jetzt von einer strukturellen linken Mehrheit redet, verkennt, dass das nur wahlarithmetisch so ist. Ein gemeinsames Projekt ist nicht in Sicht. Die PDS hat der rot-grünen Regierung Nähe zum Neoliberalismus vorgeworfen. Aber Rot-Grün hat das doch nicht aus Jux und Tollerei oder ideologischer Verblendung gemacht. Die Hartz-Reformen waren notwendig, und sie sind im Kern auch richtig.

Die rot-rote Landesregierung in Berlin setzt Hartz so straff um, wie sonst kaum jemand. Ist die PDS nicht schon längst in der Realität angekommen?

Dass Oskar Lafontaine zum Befürworter der Hartz-Reformen wird, können wir doch wohl ausschließen.

Werden die Grünen in der Opposition linker?

Das Hauptproblem der Grünen dürfte sein, in der Opposition überhaupt wahrgenommen zu werden. Und sie müssen im politischen Spektrum zwischen der Mitte und der Linken eine strategische Orientierung finden, die für die ganze Partei akzeptabel ist. Da sind zwei Entwicklungen denkbar: Entweder verschiebt sich das inhaltliche Profil stärker nach links oder in die Mitte. Wahrscheinlicher ist ein gewisser Linksschwenk. Etwas vorschnell hat man ja auch jetzt die Entscheidung getroffen, in die Opposition zu gehen.

Spricht aus Ihren Wort die Einschätzung, dass der Weg in die Mitte der bessere wäre?

Ich habe mir angewöhnt, von den Problemen her zu denken, weniger von der parteipolitischen Vermittelbarkeit. Und wenn ich mir die Problem-Agenda in Deutschland anschaue, liegen die wirklichen Lösungen in der Mitte. Ich glaube nicht an die Rhetorik der linken Lagerwahlkämpfer.

Der Unterschied zwischen der Kopfpauschale der Union und der Bürgerversicherung der Grünen …

… ist doch eine Schimäre. In Wirklichkeit besagen alle ernst zu nehmenden Konzepte, dass die Krankenkassenbeiträge von den Arbeitskosten abgekoppelt werden müssen. Das ist der Kern.

Die Unterschiede bestehen aber darin, dass die Union die geringen Einkommen vermutlich stärker belasten würde.

Das kommt darauf an, wie man die Zuschüsse über das Steuersystem organisiert und wie die konkreten Beitragssätze aussehen. Ich finde es im Prinzip gar nicht falsch, wenn man sagt, Umverteilung findet über das Steuersystem statt. Das muss man dann nur auch tatsächlich machen. Und das verträgt sich natürlich nicht mit Kirchhofs Einheitssteuer. In Wahrheit liegen alle praktikablen Vorschläge viel näher beieinander als die Wahlkampf-Rhetorik vermuten lassen würde. Das gilt übrigens nicht nur für die Bürgerversicherung. Nehmen Sie die Mehrwertsteuer: Ich kenne eine Untersuchung des gewerkschaftlichen Instituts WSI aus den 90er-Jahren, die zum Ergebnis kommt, dass eine Mehrwertsteuererhöhung, die den niedrigeren Mehrwertsteuersatz für die Güter des täglichen Bedarfs beibehält, die unteren Einkommensbezieher entlastet und daher verteilungspolitisch wünschbar sei.

Wie kommen Sie zu der Einschätzung, dass sich die Grünen in der Opposition eher nach links bewegen?

Falls die große Koalition von Union und SPD erfolgreich arbeitet, könnte die SPD die Brückenfunktion zwischen der Linken und der Mitte übernehmen, die bislang die Grünen für sich reklamieren. Die SPD wäre dann die neue, moderne Linkspartei. Und die Grünen würden von der Bauchbefindlichkeit ihrer Mitglieder nach links getrieben.

Was würde das für die grüne Partei bedeuten?

Dieser Weg würde dann von der Aussicht auf politische Gestaltung wegführen. Sicher hängt das davon ab, wie erfolgreich eine neue Regierung tatsächlich ist. Aber in der derzeitigen Situation in Deutschland ist es doch ziemlich misslich, vor allem auf den Misserfolg der demnächst Regierenden zu setzen.

INTERVIEW: HANNES KOCH