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Archiv-Artikel

Etwas Licht im Dunkeln

Das One World Berlin Filmfestival thematisiert Menschenrechte und Missstände. Filmische Qualitäten stehen dabei eher im Hintergrund

Eine Jüdin sagt, sie schlafe oft mit arabischen Jungs, der Sex sei für sie dabei ganz politisch

VON THOMAS KLEIN

Nachtleben in Tel Aviv und Jerusalem, in den Bars und auf den Straßen sind eher junge Leute unterwegs, es geht um Partyspaß, vielleicht auch Flirtbegegnungen oder mehr. „Würdest du mit einem Araber schlafen?“, fragt sie die französische Filmemacherin Yolande Zauberman. Sie meint die Nachkömmlinge der nach der israelischen Staatsgründung in diesem Teil von Palästina verbliebenen Araber, ein gutes Fünftel der heutigen Bevölkerung. Im funzeligen Licht von Zaubermans kleiner Digi-Cam gelingen ihr interessante Einblicke in die emotionale Welt der Israelis um die zwanzig. Nicht ohne Widersprüche: Klar, sagt zu Beginn eine gut gelaunte, möglicherweise nicht ganz nüchterne Jüdin, sie schlafe oft mit arabischen Jungs, der Sex sei für sie dabei ganz politisch und eine friedensstiftende Maßnahme. So viel Enthusiasmus bleibt die Ausnahme, bei den meisten Gesprächen gibt es Skepsis und vage Ressentiments. Als „gemischtes Paar“ habe man es schwer, eine junge Frau meint, sie möchte nicht die Erste sein, die die Welt ändert; ein arabischer Israeli sagt, er gäbe sich auch mal als Argentinier aus. Die Spaltung der Gesellschaft ist tief, ernüchtert hält ein älterer Israeli fest „Man kann die Probleme nicht im Bett lösen.“

Zaubermans reizvoller, bittersüßer Dokumentarfilm „Would You Sleep With An Arab?“ eröffnet das diesjährige „One World Berlin Filmfestival für Menschenrechte und Medien“, das im Arsenal und Räumen des Tschechischen Zentrums stattfindet. Die Reihe deckt ein weites Spektrum an Menschenrechtsfragen und -problemen ab. Es geht da um die mühevolle Spurensuche zu Prozess und Hinrichtung von Ethel und Julius Rosenberg („The Perlin Papers“), den Versuch einer Brandenburgerin, in Berlin lesen und schreiben zu lernen („Unbelehrbar“), die Nachwirkungen der Occupy-Bewegung („systemwechsel 2011+“) oder indische Landwirte, die mit GMO-Saatgut in die Existenzkrise getrieben werden („Bitter Seeds“).

Inhaltlich ist das hoch spannend, auch die angekündigten Gesprächsrunden sollten interessant werden. Filmische Qualitäten stehen dabei jedoch eher im Hintergrund, nicht alle gezeigten Dokus können Engagement und nötige Gesellschaftskritik in schlüssige, überzeugende Bilder fassen. So will sich der niederländische Regisseur Chris Belloni in „I Am Gay And Muslim“ mit dem schwierigen Thema Homosexualität in der arabischen Welt beschäftigen. Doch seine in Marokko entstandene Doku wirkt eher wie ein nur vage politisch aufgeladener Urlaubsfilm: Es gibt Andeutungen über das gesellschaftliche Tabu erster schwuler Gehversuche heterosexueller Jungs und die Ahnung, dass in dem islamischen Land viel geduldet, aber nichts öffentlich thematisiert wird. Ob und warum es Schwule in Marokko schwerer haben als in Polen, Chile oder Südkorea, bleibt unklar.

Unklar ist auch, warum „Wunder gibt es nicht – Die Verschwundenen von Mercedes-Benz“ der Journalistin Gaby Weber im diesjährigen „One World“-Programm auftaucht. Der Verstrickung des Autobauers mit staatlichen Gewerkschaftsfunktionären, Regierung und Todesschwadron im Argentinien der siebziger Jahre sind zahlreiche kritische Arbeiter und Betriebsräte zum Opfer gefallen, mehr als ein Dutzend Mercedes-Leute verschwanden für immer. Momentweise funktioniert der Film sehr gut als Fallstudie über Machtmissbrauch und die Achtlosigkeit der Konzerne. Doch das Material ist fast zehn Jahre alt: Zum Schluss spricht Gaby Weber das Geschäft mit den Babys verschleppter Frauen an und verweist auf ein Untersuchungsverfahren, das 2005 wohl Klarheit bringen wird. Eine aktuellere Fassung dieses Beitrags wäre wünschenswert gewesen.

Sehr aktuell und hoch brisant ist hingegen „Der verlorene Sohn“ von Andreas Kuno Richter. In der Plattenbausiedlung Jena-Lobeda sind die NSU-Täter Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt Anfang der Neunziger aufgewachsen, dort haben sie auch Uwe Mundlos kennengelernt. Eine Gruppe von Elftklässlern versucht 2012 herauszufinden, wie und warum aus ihnen Nazi-Mörder wurden. Die Doku enthält faszinierende Schlaglichter, besonders ein Gespräch der Jugendlichen mit Böhnhardts Eltern wirkt nach: Vielleicht, meint die Mutter, die nach der Wende Problemschüler unterrichtet hat, habe man „dem Kleinen“ zu viel durchgehen lassen, aber dessen Rechtsradikalismus hätte man erst sehr spät bemerkt. Nie wäre ihr Sohn aggressiv oder beleidigend gewesen, sagt die Mutter, da habe es irgendwann zwei Leben gegeben, eines mit der Familie, eines mit den Nazi-Freunden. Die Eltern wirken ratlos. Vielleicht kann man da aber auch nichts erklären.

■ One World Berlin Filmfestival für Menschenrechte und Medien. Bis 28. November. Programm: www.oneworld-berlin.de