: Ritalin nur im Geheimen
Sozialbehörde verzögert staatsanwaltschaftliche Ermittlungen zur Feuerbergstraße: Aussagegenehmigungen zwei Monate zurückgehalten. Behördenreferent Bange räumt im PUA Fehler ein. Neue Hinweise auf Zwang bei Psychopharmaka
von Kaija Kutter
Im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) Feuerbergstraße räumen die Vertreter der Sozialbehörde jetzt schon mal Anfängerfehler ein. „Wir haben nicht böswillig die Eltern nicht informiert. Seit wir in der Diskussion sind, wird es so gemacht, dass es in keiner Weise angreifbar ist“, sagte Behördenreferent Dirk Bange am Dienstag zum Vorwurf der illegalen Psychopharmaka-Vergabe. Bei den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen ist die Behörde indes wenig kooperativ.
Wie der SPD-Politiker Thomas Böwer jetzt durch eine Kleine Anfrage erfuhr, hatte die Staatsanwaltschaft nach Sichtung der PUA-Akten am 14. Juli bei der Sozialbehörde Aussagegenehmigungen für den Heimleiter und eine Amtspflegerin beantragt. Laut Senatsantwort wurden diese am 28. Juli von der Behördenrechtsabteilung auch erteilt. „Über diese Entscheidung informiert“ habe die Behörde die Staatsanwaltschaft bis gestern allerdings „nicht“. Für Böwer grenzt dies an „politische Strafvereitelung“. Behördensprecherin Katja Havemeister weiß dagegen um eine „Verkettung unglücklicher Umstände“: Versehentlich seien über die Genehmigungen nur die betreffenden Zeugen, nicht aber die Staatsanwaltschaft informiert worden.
Dass die Vergabe von Psychopharmaka an mindestens zehn Jungen in der Feuerbergstraße äußerst fragwürdig ist, wurde auch bei dieser letzten PUA-Sitzung vor den Herbstferien deutlich. Die Ausschussakten sind geheim, ihr Inhalt wird nur publik, wenn Abgeordnete daraus vorlesen. Im Protokoll einer Erziehungskonferenz heißt es, ein Heiminsasse solle Ritalin verschrieben bekommen. Weil seine Verwandten aber eine „extreme Abneigung“ gegen dieses Medikament hätten, solle der Name „nicht genannt“ werden.
Bange ist als Abteilungsleiter inzwischen nicht mehr direkt für die Feuerbergstraße verantwortlich. Aber er ist Chef des „Familieninterventionsteams“ (FIT), das für die Aufnahme der Jungen sorgt. Im November erklärte die FIT-Psychologin in einem Brief an die Uniklinik Eppendorf, Psychopharmaka seien im Heim „unumgänglich“, um „pädagogische Erreichbarkeit“ herzustellen. Bange selbst teilte mit, die Jungen nähmen die Medikamente freiwillig, mancher erkläre später, sie hätten ihm gut getan.
Allerdings musste er auf Nachfrage der GAL-Abgeordneten Christiane Blömeke einräumen, dass bei einem Jungen das Risperdal abgesetzt werden musste, weil sich im Blut zu viel Prolaktin bildete, das die Brust vergrößert. Blömeke zitierte aus dem „Übergabebuch“ der Heimmitarbeiter: „Habe wieder Risperdaleinnahme an Zigarette gekoppelt.“ Und an einem anderen Tag: „Hat verweigert, wieder ausgespuckt. Morgen gibt es dafür keine Kippe.“ Zwangsmedikation, ermahnte die Heimleitung in einem Protokoll, dürfe „nicht von Mitarbeitern durchgeführt werden“. Die Frage, ob Medikamente mit Zwang verabreicht wurden, beantwortete Bange im PUA so: „Ich weiß es nicht.“ Zigarettenentzug halte er für „problematisch“.
Der stellvertretende Heimleiter hatte im Juni 2004 per E-Mail dem FIT-Vorgesetzten Bange berichtet: „Die notwendigen Utensilien zur fachgerechten Fixierung“ eines Jugendlichen lägen jetzt „in der Einrichtung vor“. Da es den Mitarbeitern aber an „Erfahrung und Ausbildung“ fehle, werde er eine „Fixierung mit Mitteln der Psychiatrie nicht zulassen“. Für Bange ein Zeichen dafür, „dass der Mann sich Sorgen macht“. Die Einrichtung habe Jugendliche aufgenommen, die an der Grenze zwischen Jugendhilfe und Psychiatrie stünden. Zwei brachen aus und skandaliserten die Psycho-Pillen in Interviews. Erst da, so Bange, sei bei ihm das „Alarmlicht“ angegangen.