Berlinmusik: Klang, gestaltet
An der Karriere von René Pawlowitz alias Shed lässt sich die Geschichte des Berghain gut nachvollziehen. Sheds Debütalbum „Shedding the Past“ erschien 2008 auf dem Berghain-eigenen Label Ostgut Ton und trug maßgeblich dazu bei, dass Ostgut Ton damals in Clubmusik-Kreisen als Label des Jahres gefeiert wurde. Der Club galt zu der Zeit auf diesem Planeten als unumstrittene Nummer eins des Nachtlebens, Darkroom-Exzesse inklusive. Und der Berliner Produzent Shed war entscheidender Teil seines Sounds – rau und unbehauen, zugleich zurückgenommen und kunstvoll verscheppert.
Neun Jahre später ist das Berghain wohl immer noch der bekannteste Club der Welt, hat aber längst nicht mehr den quasireligiösen Status eines Tempels der mehr oder minder verbotenen Freuden zu stoischem Beat. Es ist eine etablierte Marke, robust und zuverlässig. Und Shed hat, inzwischen beim vierten Album angekommen, seinen Stil kontinuierlich verfeinert. „The Final Experiment“ heißt die Platte, die, wie schon „The Killer“ von 2012, nicht mehr bei Ostgut Ton, sondern beim Modeselektor-Label Monkeytown erscheint.
Was Ausgewogenheit, technische Versiertheit und Professionalität angeht, ist dies sicherlich die vollkommenste Veröffentlichung, die Shed bisher abgeliefert hat. Tatsächlich gibt es wenig an den Produktionen auf „The Final Experiment“ auszusetzen. Ob Pawlowitz seine Hörer aber noch im gleichen Maße in Ekstase versetzen kann wie einst mit „Shedding the Past“, ist ein bisschen die Frage. Man mag dazu tanzen, sicher. Die ganz große Euphorie will sich jedoch nicht mehr einstellen. Zu gediegen, zu routiniert. Aufbruch war gestern.
Eine Art Aufbruch gibt es dafür beim Berliner Klanggestalter und Komponisten Johannes Malfatti. Nachdem er überwiegend im Hintergrund auf den Produktionen anderer und als Film- oder Theaterkomponist gewirkt hat, tritt er jetzt mit seinem Solodebütalbum „Surge“ an die Öffentlichkeit. Die Welle oder das Strömen, das im Titel beschworen wird, nimmt er in seiner Musik sehr wörtlich. Für knapp eine Stunde lässt er in einem durchgehenden Stück die Klänge anbranden, aufbrausen, vorüberfließen und schließlich wieder abebben. Man muss beim Hören nicht zwingend maritime Assoziationen haben – inspiriert ist die Musik von einem Winteraufenthalt in den österreichischen Alpen.
Tim Caspar Boehme
Shed: „The Final Experiment“ (Monkeytown/Rough Trade)
Johannes Malfatti: „Surge“ (Glacial Movements/Cargo)
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