: „Wir testen das fröhliche Verabschieden“
Den junge Eliten aus dem Osten soll man das Abwandern nicht verübeln, sagt die Professorin Christiane Dienel
taz: Die Jungen laufen dem Osten Deutschlands davon. Sind überhaupt noch welche da?
Christiane Dienel: In Mecklenburg-Vorpommern ist bereits ein Drittel der Jahrgänge der bis zu 30-Jährigen abgewandert. Aber es wachsen ja ständig Generationen nach. Dass ab 2006 die Abwanderungszahlen stark sinken, liegt übrigens daran: Gerade kommt der letzte DDR-Babyjahrgang ins Zugvogelalter – die nachfolgenden Jahrgänge sind zahlenmäßig viel kleiner.
Sie haben die Ausreißer befragt. Was motiviert sie?
Wichtig ist es zunächst zu schildern, warum sie nicht gehen: Sie gehen nicht, weil die Städte hässlich oder die Einkaufsmöglichkeiten schlecht sind. Diese Menschen gehen auch nicht, weil sie etwa arbeitslos wären. Vereinfacht lässt sich sagen: Die Männer wandern zu den besser bezahlten Jobs – und die Frauen ziehen nach.
Was kann man dagegen unternehmen?
Uns geht es gar nicht darum, jungen, mobilen Leuten ihre Träume auszureden. Reisende soll man nicht aufhalten. Wer wollte den künftigen Eliten abraten, sich in der weiten Welt frischen Wind um die Nase wehen zu lassen?
Und im Osten soll der Letzte dann das Licht ausknipsen?
Nein, wir versuchen, den Menschen die Rückkehr so leicht wie möglich zu machen. Wichtig ist, die Regionen im Osten etwa durch Studienangebote so attraktiv wie möglich zu machen. Allerdings: Viele Absolventen gehen mit dem Hochschulabschluss in der Tasche – ohne sich nach Arbeit umzuschauen. Sie nehmen schlicht an, dass es keine Jobs gibt.
Wie gehen Sie damit um?
Wir testen bald eine Art fröhlichen Verabschiedens: Jeder, der geht, kriegt ein freundliches „Auf-Wiedersehen-Paket“ mit. Viel Glück, heißt die Botschaft zum Abschied. Und kehr gerne wieder heim, du bist herzlich willkommen! Dazu gehört dann die Adresse einer „Kontaktagentur“, eine Freikarte fürs Spiel des SC Magdeburg oder Ähnliches.
Was nutzt es dem Land?
Es erhöht die Wahrscheinlichkeit der Rückkehr erheblich. Es wäre doch das Beste, wenn unternehmungslustige Leute wiederkehren – mit guten Ideen, mit Geld und Tatendrang. Das sehen Sie an klassischen Auswanderernationen wie Italien oder Portugal, deren Emigranten später die Heimat mitentwickelt haben.
Wie sieht der Osten in 20 Jahren aus? Eine entleerte Region mit wenigen Siedlungs- und High-Tech-Kernen?
Könnte sein. Sicher ist, dass wir eine Vision für entvölkerte Räume entwickeln müssen. Die absolute Gleichheit der Lebensverhältnisse wird sich in der Fläche nicht wahren lassen.
Was bedeutet das?
Es wird bestimmte Menschen und Berufe geben, die sich in den Einöden ansiedeln – und das als extrem hohe Lebensqualität empfinden. Marke: Mein Haus, mein Wald, mein See! Regelrechte Pendelexistenzen werden entstehen, die moderne Verkehrsmittel – sei es Zug oder Datenautobahn – nutzen, um immer wieder an ihren Wohnort zurückzukehren. Vergleichbares gibt es heute schon – in den sehr dünn besiedelten Regionen Skandinaviens.INTERVIEW: CHRISTIAN FÜLLER