Wie wäre es mit Schäuble als Kanzler?

Die einen wollen, die anderen sollen: Vor ernsthaften Koalitionsverhandlungen hat „Name Dropping“ Konjunktur

BERLIN taz ■ Es ist die Zeit der Flüsterpostboten. Wer wird was in einer großen Koalition? Obwohl noch gar nicht klar ist, ob Union und SPD überhaupt die nächste Regierung bilden werden, widmen sich Politiker und Presseleute bereits hingebungsvoll ihrer Lieblingsbeschäftigung: dem Tratschen.

Otto Schily als Außenminister, Franz Müntefering als Vizekanzler? Nichts scheint unmöglich – auch nicht Wolfgang Schäuble als Ersatzkanzler, wenn Angela Merkel aufgibt.

Viele Strategen aus allen Parteien nutzen das machtpolitische Vakuum seit der Wahl, um sich ins Gespräch zu bringen. CDU-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach etwa hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er gerne Innenminister würde. Seine Chancen sind gering, obwohl – hört, hört! – Noch-Amtsinhaber Schily „Interesse bekundet“ haben soll, das Außenministerium zu übernehmen.

Ob’s stimmt? Am kreativsten beim Name Dropping sind auf jeden Fall die Sozialdemokraten. Neben der eigenen Profilierung wollen sie Verwirrung stiften und die gegnerischen Reihen destabilisieren. Über nichts reden SPD-„Kreise“ lieber als über Politiker aus der Union, die „gegebenenfalls“ an Merkels Stelle treten könnten. Ob utopisch oder nicht – egal. Jede weitere Erwähnung hilft. Jede Meldung über eventuelle Merkel-Nachfolger könnte die Autorität der CDU-Chefin untergraben. Und siehe da: Manchmal klappt’s ja.

So wurde gestern mehrfach über Agenturen berichtet, aus Sicht der SPD kämen Schäuble und Stoiber infrage. Als Kanzler. Warum auch nicht? Beide gelten als ehrgeizig und unbefriedigt, weil sie nie Kanzler wurden. Und wären sie nicht, allein weil sie schon über 60 sind, geradezu ideale Konsens- und Übergangskandidaten?

Die SPD könnte sich freuen, Merkel verhindert zu haben und müsste sich keine Sorgen machen, dass sich ein jüngerer CDU-Politiker auf unabsehbare Zeit im Kanzleramt etabliert. Die Aussicht auf ein kurzes Intermezzo könnten auch einige CDU-Politiker reizvoll finden, die jetzt keine Chance hätten. Kleiner Hoffnungsdämpfer: In der Union werden Stoibers und Schäubles Chancen „äußerst gering“ eingeschätzt – auch von jenen, die alles andere als treue Merkel-Freunde sind. Stoiber ist spätestens seit seinem Ossi-Bashing in weiten Teilen der CDU unten durch. Und gegen Schäuble gebe es „mindestens genauso große Vorbehalte“, heißt es aus der Fraktion. Schon allein wegen seiner Verwicklung in die Parteispendenaffäre wäre ein Kanzler Schäuble „ein gewaltiger Schritt rückwärts“, den sich niemand wünschen könne. Auch nicht die jüngeren Merkel-Rivalen Koch und Christian Wulff. „Die SPD sollte nicht darauf setzen, dass die sich gegenseitig im Weg stehen“, heißt es. Dass Wulff eigene Ambitionen auf die Kanzlerschaft bestritten habe, sei „durchaus ernst zu nehmen“. Merkel müsse Wulffs Absage „als Drohung empfinden“, weil sie bedeuten könne: Er würde Koch im Zweifelsfall den Vortritt lassen.

Der alte Fuchs Schäuble scheint dagegen auf Merkel zu setzen. Einer, der ihn lange und gut kennt, erklärte gestern, Schäuble ziele nicht aufs Kanzleramt, „aber er würde wohl gerne noch mal Fraktionschef werden“. Es sei „bestimmt kein Zufall“, dass der Stern meldete, Schäuble habe sich mit Merkel arrangiert und auf eine Zusammenarbeit verständigt. Fraglich sei nur, ob er Merkels Zusagen trauen könne. LUKAS WALLRAFF