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Überleben spielen

Diskurs Neue Serie, neuer Star – und einiges, was es zu klären gilt nach dem Start der Reihe „Violence of Inscriptions“ im HAU

Der eigentliche Star zur Eröffnung der neuen HAU-Serie „Vio­lence of Inscriptions“ ist der zweijährige Sohn der palästinensischen Autorin Adiana Shibli. Zwei Videoauftritte bekommt er in ihrem Vortrag zu den Lebensqualitätsfaktoren Spiel und List. Einmal als hellhaariges Maskottchen bei der israelischen Checkpoint-Kontrolle und am Ende, wenn er am Mittelmeerstrand von einer Welle untergespült wird, liefert er das Symbol für die Gefahren des Spiels mit dem Namen Überleben.

Aber der Kleine ist nicht nur ein Videostar, sondern auch vor Ort anwesend, und zwar als perfekter Pausen-Entertainer. Hier geherzt, dort geherzt – unter anderen von der Performance-Wissenschaftlerin Sandra ­Noeth und dem israelischen Choreografen Arkadi Zaides, den Kurator*innen der Serie – malt der arabisch-, englisch- und deutschsprachige Zweijährige mit dem Barkeeper* Lautsprecher an. Dem Einlasspersonal demonstriert er seine Zahlen-Erkennungsfähigkeiten, mit dem libanesischen Theatermacher Rabih Mroué spielt er die typischen Kinderspiele: Programmheft wird Fernrohr wird harmloser Haudegen, mit dem Mroué auf den Kopf geklopft wird.

Letzteres löst bei mir unerwartet eine Erinnerung zum Thema aus: So etwas habe ich, etwas älter, auch einmal getan. Es kam beim Gegenüber nicht gut an. Die Scham darüber spüre ich immer noch.

Körperliche ­Kommunikation ist ein extrem komplexer, in Teilen extrem kodifizierter, in anderen extrem unausformulierter Bereich des Sozialen – und diese Mischung aus komplex-kodifiziert-unausformuliert gilt dann auch für Danya Hammouds Solo „Mahalli“ („lokal“/ „mein Ort“) sowie für den Beginn der Serie „Violence of Inscriptions“ im Gesamten. Hammouds Arbeit ist vor allem eine Choreografie des Blicks. Fast permanent fokussiert sie die Zuschauenden mit einem taxierenden, nicht feindlichen, aber doch auf Abstand haltenden Blick, während sie ihren Körper von Hüftimpulsen ausgehend in minimale Bewegung versetzt.

Chic-Point-Modenschau

Irgendwie ist klar, dass es hier um ein Repräsentationsverhältnis geht und dass die Anklänge an Verführungs- und Domina-Posen eine Ambivalenz verhandeln: Was sich dem Blick zeigt und was er sieht, ist nicht das Gleiche – lautet so die Erfahrung hinter dem harten Fragezeichen in Hammouds beeindruckenden Augen?

Fragezeichen hinterlässt auch Manuel Pelmuş mit einem Remake seiner Performance „Preview“ (2007), einer Kritik an der Gleichsetzung von Präsenz und Sichtbarkeit, das in einer Adaption von Marina Abramovic’ MoMA-Performance „The Artist is Present“ gipfelt: Künstler* und Zuschauer* stehen sich im Dunkeln gegenüber und schauen sich an. Fragt sich nur, warum Pelmuş sein Lecture-Performance-Script ablesen muss und dazu natürlich die Lampe am Stehpult braucht.

Ebenfalls Fragezeichen bei Sandra Noeths Einführung, die für „Violence of Inscription“ Kafkas Erzählung „In der Strafkolonie“ mit Thesen zur strukturellen Gewalt in Verbindung zu bringen scheint. Der in Kafkas brutaler Geschichte vorkommende Folterapparat, der dem Todeskandidaten sein Urteil per Nadeln in den Körper einschreibt, ist aber gerade das Gegenteil struktureller Gewalt, nämlich auf manifeste Gewalt angelegt.

Es kann sein, dass mir im Verlauf der drei verlesenen Skripte (Pelmuş, Noeth, Shibli) Bedeutendes entgangen ist. Das wäre dann genau der wunde Punkt am Anfang dieser neuen Serie, in der die Theaterbühne weniger Kommunikationsort als Kanzel ist. So bleibe ich letztlich am visuell zugänglichsten Teil des Abends hängen: Adiana Shiblis Einspielung einer „Chic-Point“-Modenschau: bauchfreie Männermode, die den israelischen Sicherheitskräften am Checkpoint ihre Suche nach Waffen und Sprengstoffgürteln erleichtern soll. Astrid Kaminski

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