Berliner Szenen: Arbeiten im CafÉ
Mutter Courage
Ich setze mich zum Arbeiten vor ein Café. Die Trage meiner Tochter, die ich vergessen habe, im Kindergarten liegen zu lassen, behalte ich an. Ein Mann bleibt im Vorübergehen stehen und fragt unvermittelt: „Darf ich mich zur dir setzen und dich auf einen Kaffee einladen?“ Ich schüttele den Kopf und entgegne höflich: „Danke, nein, ich bin zum Arbeiten hier.“ Er betrachtet den Laptop und fragt: „Selbstständig?“ Ich nicke und öffne schon einmal ein leeres Dokument. Er fragt schüchtern: „Und wenn ich dir meine Visitenkarte gebe? Rufst du mich dann mal an?“ Weil er so unsicher fragt, will ich ihm keine zu dolle Abfuhr erteilen und sage: „Keine Zeit.“
Er sieht mich ungläubig an. Ich füge schnell hinzu: „Ich habe ein Kind.“ Er guckt immer noch ungläubig. Ich deute auf die Trage und sage: „Hier, gerade zum Kindergarten gebracht. Und jetzt muss ich wirklich zusehen, dass ich zum Arbeiten komme.“ Er betrachtet die Trage, wird rot und murmelt: „Verzeihung, die habe ich gar nicht gesehen.“ Im Weggehen dreht er sich noch einmal um und fragt: „Darf ich noch etwas fragen?“ Ich sehe vom Laptop auf. „Ja, bitte?“ Er blickt mir direkt ins Gesicht und fragt: „Noch mit dem Vater des Kindes zusammen?“ Ich nicke. Er fragt weiter: „Und wenn du kein Kind hättest? Ich winde mich: „Ich habe aber ein Kind.“
Er lächelt und fragt: „Ich habe dich nicht blöd angemacht, oder?“ Meine Antwort: „Nein, das nicht.“ Er wünscht mir noch einen schönen Tag und zieht weiter. Als ich bereits denke, dass er endlich weg ist, kommt er noch einmal zurück und fragt: „Und ich bin auch nicht hässlich, oder?“ Ich schüttle den Kopf, wende mich betont meinem Laptop zu und frage mich, warum ich auf meine Tochter geschoben habe, dass ich einfach kein Interesse habe, einen Kaffee mit ihm zu trinken.
Eva-Lena Lörzer
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