Last der Einsamkeit

SERVUS In ungewöhnlicher Beiläufigkeit erklärt Trainer Luis Enrique seinen Rücktritt beim FC Barcelona zum Saisonende. Die Rezepte des Welttrainers von 2015 gehen seit einer Weile nicht wie gewohnt auf

Müde: Der erschöpfte Luis Enrique möchte eine Pause haben Foto: ap

aus Barcelona Florian Haupt

Der Pressesaal des Camp Nou war spärlich gefüllt wie selten. Mittwochabend, ein Routinespiel gegen den Abstiegskandidaten Sporting Gijón (6:1), parallel lief schon die Partie von Real Madrid. Aus den Radios im Hintergrund hörte man den Kommentar, derweil Luis Enrique seine übliche Mischung aus Taktik (neues 3-4-3-System), Psychologie („So ein Sieg kommt immer gelegen“) und Journalistenbashing („Strengt euch mal ein bisschen an“) zum Besten gab. „Das war die letzte Frage? Gut, wunderbar“, schloss der Coach. „Dann nutze ich diese Presskonferenz mal etwas anders: Hiermit erkläre ich, dass ich nächste Saison nicht mehr Trainer des FC Barcelona sein werde.“

Die Reporter blickten erstaunt hoch. „Das Motiv ist eindeutig meine Art, diesen Beruf zu leben, unablässig nach Lösungen zu suchen – ich brauche eine Pause“, fuhr Luis Enrique in einer knappen Erklärung fort, dann stand er auf und ging zur Tür. Beiläufiger hat wohl noch nie ein Spitzencoach seinen Abschied verkündet, aber es handelt sich ja auch um den einzigen Welttrainer des Jahres (2015), der nicht mal den Preis abholte. Inszenierung war nie sein Thema, Eitelkeit nie sein Problem.

Brutal direkt und eher unromantisch – wie sein persönlicher Stil lässt sich auch die Fußballphilosophie beschreiben, die er in seinen drei Jahren den einstigen Kurzpassvirtuosen eingeimpft hat. Nach der Ermüdung des klassischen Tiki-Taka erwies sich seine Adrenalinkur zunächst als die ideale Medizin. Mit Konter- und Heldenfußball um das Sturmtrio aus Lionel Messi, Neymar und Luis Suárez gelang 2015 das Tripel aus Meisterschaft, Liga und Pokal, vergangene Saison folgte das nationale Double. In dieser Spielzeit erwiesen sich seine Rezepte freilich zunehmend als verbraucht. Barça war oft nicht wiederzuerkennen, ließ sich selbst von manchen Mittelklasseteams beherrschen und internationalisierte den Verfall mit einem 0:4 in der Champions League bei Paris St. Germain.

In jener Nacht legte er sich live mit einem TV-Reporter an und bekam von Sergio Busquets ebenfalls zu hören, der Gegner sei „taktisch besser“ gewesen, weil er „eine Plan gehabt“ hätte. Während des folgenden Heimspiels gegen Leganés wurde sein Name von Teilen der Zuschauer ausgepfiffen. Spätestens da dürfte eine Entscheidung gefallen sein, mit der er nach eigener Auskunft schon seit dem Sommer flirtete. Durch drei Ligasiege hat sich die Lage inzwischen so beruhigt, dass ihn die Kurve gegen Gijón unwidersprochen feiern durfte. Luis Enrique nahm die Huldigungen regungslos zur Kenntnis. Nur er wusste, was folgen sollte. Den Spielern hingegen „blieb der Mund offen stehen“ (Ivan Rakitic), als er sie informierte.

Als Hinterlassenschaft bleiben schon jetzt 125 gewonnene Spiele und mit 75 Prozent die beste Siegquote eines Barça-Trainers nach Pep Guardiola (78). „Als Anhänger bin ich heute traurig, wir verlieren den perfekten Trainer“, kondolierte die Vereinsikone aus dem fernen Manchester. Ob man Luis Enrique wirklich schon als „legendär“ bezeichnen kann, wie Präsident Josep Maria Batomeu in seiner ersten Reaktion, wurde noch in der Nacht ausufernd debattiert. Spannender ist allerdings wohl die Frage, warum Barças Erfolgstrainer eigentlich immer von sich aus gehen. Wie schon Guardiola fühlte sich offenbar auch Luis Enrique ziemlich allein gelassen.

In den nächsten Wochen muss die Führungsriege um den technokratischen Bartomeu, den blassen Sportdirektor Robert Fernández und das kaum noch überschaubare Heer an Klubdirektoren allerdings Farbe bekennen. Als Favoriten für die Nachfolge gelten der passionale Jorge Sampaoli (Sevilla) und der sachliche Ernesto Valverde (Athletic Bilbao), auch die Namen Jürgen Klopp oder Thomas Tuchel werden genannt. Mehr als um eine Figur geht es freilich um eine Linie. Immer neue Umsatzrekorde kaschieren kaum noch den schleichenden Identitätsverlust des Vereins. Auf Luis Enriques Negativliste steht nicht zuletzt, in drei Jahren keinen einzigen Spieler aus der Nachwuchsschule La Masia in den Profikader befördert zu haben.