Stadtgespräch: Limousine am Baum
Nach dem Verkehrsunfall von Polens Premierministerin regt sich Solidarität mit dem Unfallfahrer
Gabriele Lesser Aus Warschau
Seit Tagen kennt Polen nur ein Thema: Wer ist schuld am Unfall von Premierministerin Beata Szydło? Am Unfallabend vor einer Woche hatte das Fernsehen Bilder der gepanzerten Regierungslimousine gezeigt. Wie eine Ziehharmonika klebte das zerstörte Vorderteil des drei Tonnen schweren Audi A8 an einem Baum. Der kleine blassrote Fiat, dessen junger Fahrer den Unfall verursacht haben soll, stand mit Blechschaden an der Seite.
„Gut, dass sie nicht tot ist!“, rief am Morgen danach die Warschauer Kioskbesitzerin Pani Basia von Weitem ihren Stammkunden zu. „Sonst hätten wir demnächst doppelten Gedenkzirkus: Smolensk und Oświęcim.“ Ein älterer Mann mit langem roten Schal, Schiebermütze und Brille nickte: „Pani Basia, geben Sie mir die üblichen Zeitungen und heute ausnahmsweise alle Blätter mit Bildern vom Unfall. Jetzt sind die Bilder noch nicht gefälscht.“
Die Studentin neben ihm war kreidebleich: „Der junge Mann im Fiat, der ist erst 21 Jahre alt. So wie ich!“ Sie zog sich die dicke blaue Wollmütze tiefer ins Gesicht und deutete stumm auf zwei Boulevardblätter mit gespenstisch wirkenden Fotos vom Unfallort im nächtlichen Oświęcim (Auschwitz). „Jetzt soll er ins Gefängnis. Gleich für drei Jahre!“
Eine resolute Mittvierzigerin in Pelzmütze fuhr sie streng an: „Ja, was hören die jungen Leute auch so laut Musik im Auto? Kein Wunder, dass er die Auto-Sirene nicht gehört hat. Und dass er nur den ersten der drei Wagen in der Kolonne gesehen hat, das glaube ich nicht!“ Szydło fahre immer in der Mitte. Das wisse doch jeder. „Und ausgerechnet da ist er dann reingekracht! Der wusste genau, was er tat!“
Pani Basia fuhr dazwischen: „Wie können Sie so etwas sagen? Vielleicht ist die Regierungskolonne mit Karacho durch Oświęcim gerast, so wie hier in Warschau auch? Und wenn der junge Mann mit 30 km/h nach links abbiegen wollte, hat er vielleicht wirklich das Szydło-Auto erst gesehen, als es zu spät war. Das tauchte dann nämlich mit 100 Sachen plötzlich vor ihm auf!“ Beleidigt brummelnd zog die 40-Jährige mit einem Boulevardblatt und dem nationalkatholischen Nasz Dziennik (Unser Tagblatt) ab.
Eine knappe Woche später schüttelt Pani Basia eine Blechsparbüchse mit der Aufschrift „Für Sebastian K.“ Sie lacht: „Heute haben schon vier Kunden etwas eingeworfen. Wir sammeln in ganz Polen für den jungen Mann. Der wird jetzt bald vor Gericht stehen. Gegen die Regierung – da braucht er den besten Anwalt.“ Der alte Mann mit Schiebermütze ist auch wieder da. „Die Bilder, Pani Basia! Da war eine doppelt durchgezogene Linie. Wenn die Sirene aus war, dann durften die da gar nicht überholen!“ Die Kioskbesitzerin reicht ihm seine Zeitungen: „Heute soll Beata Szydło endlich aus dem Krankenhaus entlassen werden. Dabei sagt sie seit Tagen, dass es ihr gut geht. Aber sieben Tage Krankenhaus – das reicht für eine Gefängnisstrafe. Und darum geht es wohl.“
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