: Sanfte Zähmung wilder Räume
WALTZ TANZT HADID Welch ein Luxus: Sasha Waltz & Guests konnten als erste Künstler das neue Museum für zeitgenössische Kunst in Rom bespielen. Zaha Hadid hat es entworfen
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Zwei Monate lang war Sasha Waltz, Choreografin aus Berlin, in diesem Jahr Stipendiatin der Villa Massimo in Rom. Am Ende lud man sie ein, sich das Museum für zeitgenössische Kunst, das die Architektin Zaha Hadid für ein ehemaliges Kasernengelände nahe dem Tiber entworfen hat, anzuschauen. Ob sie, die in Berlin im März das Neue Museum mit einem Parcours aus Tanz- und Konzertszenen bespielt hatte, sich etwas in diesen Räumen vorstellen könnte, fragten sie die Leiter des MAXXI genannten Hauses. Klar konnte sie das, denn die Auseinandersetzung mit Architektur ist für Sasha Waltz von Anfang an Thema gewesen.
Das Haus, das nun nach zehn Jahren Planungs- und Bauzeit endlich fertig wurde, ist ein Konglomerat aus Kurven und Kuben, aus übereinanderschwebenden Ebenen und Galerien, die aus dem Haus hinaus- und wieder hineinlaufen, aus Treppen, die zu Skulpturen werden, aus Verengungen und Öffnungen. Die Architektur von Zaha Hadid suggeriert ein Höchstmaß an Bewegung: Mehr Chiffre für das Fließen und Schwingen, das Aufsteigen und Über-der-Stadt-Schweben, kann ein Gebäude kaum sein. Ein halbes Jahr bevor das Museum als Haus für Kunst und Architektur des 21. Jahrhunderts (deshalb MA-XXI) eröffnet wird, luden Sasha Waltz & Guests (38 Tänzer und 7 Musiker) zu einer ersten Interpretation der Galerien und Säle ein; drei Abende lang, erst für die geladenen VIPs, dann für zahlende Gäste. Was für ein Privileg, als Erste in diesem wilden Ambiente zu spielen, das so leer später niemandem mehr zur Verfügung steht.
Wachsende Formen
Von außen ist die Form des Museums schwer fassbar: Die der Straße zugewandte schlichte Fassade, die noch an die frühere Kaserne erinnert, lässt nicht die großen Ausdehnungen dahinter vermuten. Diese zeigen sich beim Weg über den Hof erst nach und nach dem Auge: Je weiter man kommt, desto mehr scheint es zu wachsen. Diese Überraschung wiederholt sich im Inneren: Die Wege hindurch gleichen den Fußwegen durch die dicht bebaute Stadt, wo sich neben engen, aufsteigenden Gassen unvermutet übereinanderliegende Terrassen öffnen. Selbst an Bergbesteigungen und den Blick in tiefe Schluchten fühlt man sich erinnert, wenn sich im ansteigenden Boden einer Kunsthalle im zweiten Stock ein gläserner Durchblick auf die beiden Etagen darunter auftut.
Die Farben des Gebäudes sind Schwarz, Grau (wie der Sichtbeton) und Weiß. Daran hielten sich in einer unausgesprochenen Verabredung sowohl die Kostüme der Tänzer als auch die Garderobe des Publikums. Aber während die Tänzer barfuß blieben, ganz in der Tradition des Ausdruckstanzes, nahm das Publikum selbstverständlich in allen Arten von eleganten Stiefeln und Stilettos die Räume in Besitz.
Den schwersten Job in dieser Performance hatte die Crew, die zwischen dem durch die Etagen flutenden Publikum und den Tänzern für die Einhaltung jenes Abstands sorgen musste, der den Blick auf die Szenen überhaupt erst möglich machte. Wenn drei, vier, fünf, sechs Tänzer sich nach und nach wie die Glieder einer gewundenen Kette auf den Boden legten und damit das Echo des gekrümmten Raums aufnahmen, verschwand Anfang oder Ende der Figur oft zwischen den dicht gedrängten und angeregt plaudernden Besuchern.
Ausstellung Tanzmoderne
Anders als frühere Stationen, an denen Sasha Waltz in einen Dialog mit der Architektur trat, etwa das Jüdische Museum in Berlin oder das Skelett des Palasts der Republik, gibt das MAXXI keinen Resonanzraum der Geschichte vor. Es ist auch deshalb ein noch unbeschriebenes Blatt, weil eine Sammlung für das erste nationale Museum für zeitgenössische Kunst in Italien bisher fehlt. So wählte die Choreografin diesmal die eigene Geschichte als Material.
Aus ihrem Stück „Körper“ gab es auf einer hohen Betonwand eine Projektion, in der man die nackten Tänzer an einer Wand aus Glas herunterrutschen und übereinanderklettern sah. Andere hingen an Seilen von der Decke in den Posen barocker Gemälde, wie in ihrer Operninszenierung von „Dido & Aeneas“. Nun fehlt in Rom zwar den meisten Besuchern der Kontext dieser Stücke, sie wurden dafür aber mit den Entwicklungen im Werk von Sasha Waltz bekannt gemacht, vom hymnisch-expressiven Ausdruckstanz über die genaue Erkundung der physischen Beschaffenheit der Körper bis zur Erforschung von sozialen Kontexten, etwa der Migration. Eine kleine, komprimierte Geschichte der Tanzmoderne, die einem Museum gut ansteht.
Im Verzicht auf ein Zentrum und im Offenhalten von Bedeutungen sind sich die Architektin und die Choreografin ebenbürtig. Gerade in großen Ensembleszenen, die zwischen der Organisation des Schwarms und dem Auseinanderfallen in Gruppen immer wieder wechseln, hat Sasha Waltz das oft gezeigt. Doch dass sich die Architektur Hadids und die Choreografien von Waltz in der Organisation des Materials oft entsprechen, ließ sich angesichts der Publikumsfülle ausgerechnet an diesem Ort nicht wirklich erfahren.
Eine Qualität der Räume ist ihre Nichteindeutigkeit, die Aufhebung von hierarchischer Gliederung. Sie scheinen stattdessen der Bewegung selber nachzugeben. Ständig muss man entscheiden: Schaue ich über diese Brüstung nach unten, folge ich dem schmalen Weg nach oben oder dem breiten nach rechts? Diese Polyperspektivität auszureizen, Tänzerinnen auf jene Brüstung zu stellen und zugleich andere weit da unten agieren zu lassen, war eine Stärke der Performance von Sasha Waltz. So nutzte sie jene Eigenschaften des Gebäudes als Tugend, die für künftige Kuratoren die Arbeit sicher komplizieren: das Labyrinthische und Verspielte, das unbekümmert über Ordnungen hinweggeht.