: Spirale der Erinnerung
Wenn Komiker das Fach wechseln und plötzlich ganz ernst sein wollen: Frank Goosens neuer Roman „Pink Moon“
von DAVID DENK
Das Hier und Jetzt ist nicht sein bevorzugter Aufenthaltsort. Frank Goosen, Jahrgang 1966, passionierter Bochumer und gelernter Kabarettist, ist ein Nostalgiker, seine emotionale Heimat sind Erinnerungen. Für sein Debüt „liegen lernen“ plünderte Goosen vor allem die Achtzigerjahre, auch wenn er ohne Playmobil-Figuren und Nutella-Gläser auskam. Er stattete seinen Roman lieber mit viel Ruhrgebiets-Lokalkolorit aus und kramte zahlreiche Schallplatten und Mixkassetten aus der Kiste.
Das und sein als Kabarettist hinreichend unter Beweis gestelltes Gespür für Pointen machte „liegen lernen“ zum später auch verfilmten Bestseller. Allerdings war die Verfilmung schrecklich überflüssig – trotz Sophie Rois und Fritzi Haberlandt. Genauso überflüssig übrigens wie die Vergleiche mit Nick Hornby, die „liegen Lernen“ begleiteten, vom Verlagsmarketing aber durchaus gewollt waren.
Hornbys jüngster Roman heißt „A long way down“ und handelt von einer illustren Truppe Lebensmüder. Goosens neuer Roman „Pink Moon“, sein dritter, macht schon mit dem ersten Satz deutlich, dass auch er sich für zielloses Rumgekaspere inzwischen zu alt fühlt: „Ich sah meinen Vater erstmals neunzehn Jahre nach seinem Tod.“ Erstmals – dieser Felix Nowak, der uns 300 Seiten begleiten soll, wird doch nicht etwa einen Stock verschluckt haben? Leider ja. Warum zum Teufel will Goosen plötzlich lakonisch sein und nicht mehr komisch? Das kann er schließlich, dafür lieben wir ihn. Absolut absurd, dass in diesen ach so „ernsten Zeiten“ nicht mal die Komischen mehr komisch sein wollen.
Letztlich läuft Frank Goosens verkrampfter Versuch, aus der U- in die E-Schublade zu wechseln, doch wieder nur auf die alte Fehlfarben-Weisheit hinaus: „Was ich haben kann, das will ich nicht, und was ich will, das krieg ich nicht.“ Felix Nowak hat alles und will nichts. Das Leben rauscht an ihm vorbei – wie die Zeitungsmeldungen, die er unentwegt liest. Meistens hängt Nowak antriebslos und Kaffee trinkend in seinem nach dem letzten Nick-Drake-Album „Pink Moon“ genannten Szene-Restaurant rum, in dem er stiller Teilhaber ist: „Ich packe so gut wie gar nicht an. Ich stehe hinterm Tresen und greife der Bedienung an den Hintern“, sagt er einmal. Eine glatte Übertreibung, denn noch nicht mal für Frauen interessiert sich Nowak besonders (für Männer übrigens auch nicht).
Schon in der Pubertät musste seine Hippie-Mutter ihm die Mädchen auf dem Silbertablett servieren. Kein Wunder, dass für den schnöseligen Felix die Mutter die wichtigste Frau in seinem mittelalten Leben ist und auch bleiben wird. Nach ihrem Tod trifft er an einer Straßenecke seinen Vater, der angeblich schon vor Jahren gestorben ist und der für Felix’ („Ich kann mich nicht erinnern, Ihnen das Du angeboten zu haben“), Pardon, Nowaks Leben wohl enorm wichtig gewesen wäre.
Wie in seinem zweiten Roman „Pokorny lacht“, in dem der gleichnamige Protagonist nach Jahren der Funkstille plötzlich zum Abendessen bei seinem Schulfreund Zacher eingeladen wird, holt also auch Felix Nowak zu Beginn des Buchs die Vergangenheit ein – die Suche nach dem Vater und damit auch nach seiner eigenen Identität kann beginnen. Vor lauter Rückblenden wird dem Leser allerdings irgendwann schwindelig, so schwindelig wie auch Nowak in der Spirale seiner Erinnerungen, die ihn vielleicht sogar ein wenig verrückt werden lässt.
Reine Spekulation das, denn Goosen verweigert dem Leser die Orientierung, für die man ihn bezahlt. So legt man „Pink Moon“ nach dem letzten Kapitel verwirrt und ratlos beiseite: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Einerseits steckt in dem Roman noch viel alter Goosen drin: etwa ein Panoptikum seltsamer Typen und detailversessene Beschreibungen von Menschen, Situationen und Kneipen. Doch zurück bleibt das unbefriedigende Gefühl, dass hier ein Autor seine Stärken nicht ausgespielt hat und hinter seinen Möglichkeiten zurückgeblieben ist. Irgendwas fehlt – wie in dem Bilderrahmen auf dem Buchcover. Dort, wo die Pappe ausgebleicht ist, hing früher wohl mal das Foto von Otto Simanek, Nowaks Vater, „dem Helden und großartigen Tänzer“, wie seine Mutter immer gesagt hat.
Frank Goosen: „Pink Moon“. Eichborn Berlin, Berlin 2005, 300 Seiten, 19,90 Euro