: Im kostümen Absatzstau
In der Hamburger Zentrale des Modehauses Jil Sander stehen 180 Entlassungen im Raum. Im benachbarten Ellerau haben, Hartz IV im Nacken, 130 Näherinnen bereits ihre Jobs verloren
Von Kai von Appen
Im gehobenen Modehaus Jil Sander geht es ans Eingemachte: Es stehen 180 Jobs in der Zentrale in Hamburg-Lokstedt zur Disposition – zum Monatsende soll die Logistik stillgelegt werden. 130 Näherinnen bei Jil Sanders „Womens's Wear“ in Ellerau nahe Hamburg haben bereits ihren Job verloren. „Missmanagement“, begründet Betriebsratsanwalt Klaus Bertelsmann den Niedergang der Prestigemarke. Die Hamburger Betriebsratsvorsitzende Inken Witek-Rojas hegt indes eine gewisse Hoffnung: „Es ist nicht so einfach, in der Branche der gehobene Mode eine neue Logistik aufzubauen,“ sagt sie der taz, „Es ist schon jetzt überall ist Sand im Getriebe.“
Es ist eine verwöhnte Welt: Für den Hosenanzug mit dem Namen der Designerin Jil Sander berappt die Business-Frau bis zu 1.480 Euro, für ein repräsentatives Kostüm für die der Gattin muss der auf Etikette bedachte Manager eben soviel hinblättern. Und selbst der rote Pullover für den Nachwuchs schlägt mit 320 Euro zu Buche. Und wenn es zur Abendgarderobe auch noch die passenden Schuhe sein sollen, kommt man zwar mit den italienischen Jil-Sander-Import-Stöckeln noch ganz gut davon – aber auch sie erfordern die Investition von Geld, von dem andere Frauen nur träumen dürften.
Indes verbirgt sich, kaum überraschend, hinter dieser Glimmerwelt eine ganz normale Industrie, in der Arbeiterinnen und Angestellte für gängigen Lohn schuften. Beinahe ein halbes Jahr hat es gedauert, bis sich nun die Jil-Sander-Führung mit dem Betriebsrat auf eine Einigungsstelle Interessenausgleich/Sozialplan für die geplanten Entlassungen eingegangen ist. Als Vorsitzender ist der Hamburger Arbeitsrichter Helmut Krause eingesetzt worden. Zuvor hatte es der Haupteigner – der italienische Prada-Konzern – mittels hochdotierter Anwälte zu verhindern versucht, dass lokale Schlichter in dem Konflikt das Zepter in die Hand bekommen.
Der Modekonzern hatte 1999 die Mehrheit an der Jil Sander AG nebst Töchter-Gesellschaften gekauft – für immerhin 100 Millionen Euro. In der Zwischenzeit mussten für die Sander-Gruppe nochmals 100 Millionen aufgebracht werden, um Verluste auszugleichen. Im Jahr 2000 hatte Jil Sander offiziell ihren Hut genommen. Seither profitierte sie von dem Image, es von einer kleinen Boutiqueninhaberin in Hamburg-Pöseldorf zur internationalen Mode-Baronin gebracht zu haben.
2003 kehrte sie, durchaus werbeträchtig, mit dieser Legende im Rücken als Beraterin zurück. Es änderte sich jedoch nichts: 2004 machte Prada bei 140 Millionen Euro Umsatz weiterhin 30 Millionen Euro Miese, die Hoffnungen auf stabile und profitable Umsätze des Sander-Imperiums schwanden. „Es waren vor allem unnütze Repräsentationen, Ausstellungen und immense Beraterhonorare, die für den Niedergang verantwortlich sind“, bewertet Betriebsratsanwalt Klaus Bertelsmann die Situation. „Und auch das völlig überdimensionierte Beraterhonorar zuletzt für Frau Sander selbst.“
Es folgte der worst case: Prada-Chef Patrizio Bertelli musste seinen Platz räumen, Gian Giacomo Ferraris übernahm die Führung. Er setzt auf Verschlankung des Konzerns, Verlagerung der Produktion nach Italien oder Asien. „Bei Kosten zu sparen, klingt ja interessant“, sagt die Jil-Sander-Betriebsratsvorsitzende Inken Witek-Rojas. „Aber wenn es zu Lasten der Qualität geht, wird es insgesamt zum Problem.“
Die 130 Näherinnen in der „Woman's Wear“-Produktion im schleswig-holsteinischen Ellerau sind bereits entlassen worden. In diesem Betriebsteil bestand für die Betriebsräte das Problem, dass die erfahrenen Mitarbeiterinnen von Hartz IV verfolgt waren. Die Kündigungen mussten noch im Frühjahr ausgesprochen werden: Sonst hätten die Arbeiterinnen, die über 55 Jahre alt sind und denen sieben Monate Kündigungsfrist zustehen, im Januar ihren Anspruch auf 32 Monate Arbeitslosengeld verloren: So sieht es eine Hartz-IV-Neuregelung vor.
Diesen Zeitdruck hatten die Betriebsräte in Hamburg nicht im Nacken, hier ist die Belegschaft relativ jung. Zwar wollte das Unternehmen auch in der Hansestadt schon zum 1. Oktober weite Teile des Service und Vertriebs stilllegen und die MitarbeiterInnen allenfalls noch aufräumen lassen. Ob das aber überhaupt klappen kann, ist fraglich. „Sie mussten schon unsere Logistik-Experten anheuern, die für drei Monate in Italien arbeiten sollen, um einen Vertrieb neu aufzubauen“, berichtet Betriebsrätin Witek-Rojas, „dafür haben sich die Chefs sicherlich etwas Lukratives einfallen lassen.“
Es gebe jedoch auch Anzeichen dafür, dass die Prada-Manager für die Jil-Sander-AG zurzeit ein „neues Kleid kreieren“, sagt Bertelsmann, „um das Unternehmen hübsch und schlank zu machen. Und um es gut verkaufen zu können.“