: berliner szenen Kunstrausch
Im Natozaun
Rock’n’Roll ist nicht mehr das, was er mal wahr. Nämlich dreckige Musik und waghalsiger Lebenstil, glamourös und wahnsinnig aufregend. Rock’n’Roll ist mittlerweile etwas für Konservative. Das weiß auch Mick Jagger, weswegen er, wie ich neulich morgens im Radio hörte, auf seiner aktuellen Tour lediglich drei neue Stücke spielt.
Den wahren Rock’n’Roll verlangt einem heute die aktuelle Kunst ab. Zumindest in diesen Tagen in Berlin: vier Kunstmessen, unzählige Präsentationen und Partys bis in den frühen Morgen. Das bedeutet schon mal in 16 Stunden zwei Messen scannen und vier Ausstellungen anschauen. Das bedeutet auch, sich über platte Performances und noch flachere Malerei zu ärgern, sich an einer Rakete mit eingebauten Brotkästen zu erfreuen, eine Stunde lang Papierpüppchen zu basteln und in einer Fabrik Billiglohnarbeit zu leisten. Immerhin sitzend – und für die verdienten sechs Cent gibt’s in manchen Ländern dieser Erde auch schon ein Bier.
Später auf meinem Sofa denke ich noch, wie gut es mir geht. Zwar beobachte ich wie im Rausch, wie von Tag zu Tag die Ringe unter den Augen wachsen und sich mein Hirn von Gespräch zu Gespräch weiter aufzulösen scheint. Da entspannt es ganz ungemein, sich dann im Haus der Kulturen der Welt auf einen Künstler wie Rommelo Yu einzulassen. Denn das bedeutet: Robben durch einen dunklen Raum voll mit Natostacheldraht, der in phosphoreszierender Farbe gestrichen ist. Endlich spüre ich wieder den Körper zwischen den schmerzenden Füßen und müden Augen. Danach noch ein Bier in Begleitung eines jungen Künstlers, der mich piesackt, weil ich seine Arbeit nicht mag. Das kommt vor. Egal, weiter geht’s. Rock’n’Roll! MEIKE JANSEN