piwik no script img

Archiv-Artikel

„Ein Trauma im Rucksack“

QUEERES LEBEN Ein Podiumsdiskussion spricht über das Altern von Lesben und Schwulen

Carolina Brauckmann

■ 58, ist Landeskoordinatorin für ältere Lesben in Nordrhein-Westfalen und begleitet das Kölner Wohnprojekt „Villa anders“.

taz: Altern Schwule und Lesben anders als Heteros, Frau Brauckmann?

Carolina Brauckmann: Wir gehen davon aus – viele von ihnen habe keinen Kontakt zu ihrer Familie und sind es gewohnt, als Singles zu leben. Von daher brauchen sie auch andere Orte und Zusammenhänge.

Viele Heteros haben auch keine Kinder, oder keine mehr.

Heteros haben aber eine andere Lebensgeschichte. Lesben und Schwule erlebten früher eine Kultur, in der viele Angst hatten, sich als homosexuell zu outen. Da wuchsen mit der Zeit einfach andere Freundeskreise und Lebensweisen zusammen. Bisher ist die Altenhilfe sehr heterosexuell ausgerichtet. Viele sagen: Da habe ich gar nichts verloren.

Inwiefern spielt sexuelle Orientierung da eine Rolle?

Es ist eine Lebensweisen-Orientierung, die zwar mit der Sexualität zu tun hat. Aber es geht um die ganze Biografie.

Geht es nicht vor allem um die Angst, von anderen alten Menschen diskriminiert zu werden?

Das läuft zum Teil unbewusst ab. Heute ist vieles – dank der Emanzipationsbewegung – sehr offen, aber viele der Älteren, gerade der Männer, tragen ein Trauma im Rucksack. Die kennen noch den §175, der bis 1994 schwule Sexualität unter Strafe stellte. Und lesbisches Leben war sowieso tabu. Das sind prägende Erfahrungen.

Wie sehen queergerechte Altenhilfe-Einrichtungen aus?

Es fängt schon damit an, dass auch Flyer von schwulen oder lesbischen Chören ausliegen, Termine angekündigt werden, Zeitschriften ausliegen, die nicht nur das hetero-normative Leben abbilden. Das ist ein Prozess.

Braucht es spezielle Einrichtungen für Queer-Publikum oder Fortbildungen für die herkömmlichen?

Die wenigsten Lesben und Schwulen, das zeigen Studien, wollen eigene, homogene Einrichtungen. Sie sagen: Wir brauchen Orte, an denen unsere Kultur auch gelebt werden kann. Und sie wollen von den Nachbarn nicht schief angeguckt werden, wenn sie sich auf dem Balkon küssen. Die offenen Seniorenzentren müssen die veränderten Lebensformen einbeziehen. Nur so haben sie eine Zukunft.  INTERVIEW: JAN ZIER

„Altern unter Regenbogen“: 19.30 Uhr, Bürgerhaus Weserterassen