Im Irrgarten Deutschland

Zum Tag der Deutschen Einheit zeigt das ZDF die Bestsellerverfilmung „Die Nachrichten“ (Mo., 20.15 Uhr). Das Ost-West-Drama hätte keinen besseren Regisseur als Matti Geschonneck haben können

Von Christian Buss

Matti Geschonneck ist ein Berg von einem Mann, aber er spricht sehr leise und sehr langsam. Man kann sich gut vorstellen, dass diese Art der Artikulation hilfreich ist, wenn man bei der Vorbereitung zu einem Fernsehfilm in einer Diskussion mit dem verantwortlichen Redakteur eine eher unkonventionelle Idee durchbringen muss.

Zum Beispiel diese Idee mit der „Tagesschau“: Seinen neuen Film „Die Nachrichten“ hat Geschonneck für das Zweite gedreht, aber die Nachrichtensendung, um die es darin geht, ist eindeutig als die der ARD-Konkurrenz zu erkennen. Gab es seitens des ZDF kein Drängen in eine andere Richtung? „Doch“, sagt Geschonneck, „erhebliches Drängen.“ Die Nachrichtensendung im Film trägt jetzt zwar den irritierenden Titel „Tagesjournal“, aber Fanfare und Farbgestaltung verweisen eindeutig auf die „Tagesschau“. Nachrichten in TV-Filmen, das ist ein ungeschriebenen Gesetz, stammen stets aus dem Hause des produzierenden Senders. Der wenig verblümte „Tagesschau“-Verweis im ZDF ist also schon eine kleine Sensation. Oder wie es der Radikaldiplomat Geschonneck formuliert: „Ein sehr eindeutiger Kompromiss.“

Dabei sollte „Die Nachrichten“ kein Schlüsselfilm werden – „weder über die Medien noch über die Stasi“, wie Geschonneck betont. Dem Film liegt der Bestsellerroman von Spiegel-Reporter Alexander Osang zugrunde, in dem ein junger „Tagesschau“-Sprecher mit DDR-Sozialisation unter Stasi-Verdacht gerät. „Mir gefiel dieses Panorama aus sehr beschädigten, sehr deutschen Figuren“, sagt Geschonneck, „die sind mir vertraut.“

Der Regisseur hat seine Wurzeln im Osten. Sein Vater ist der Defa-Star Erwin Geschonneck, der junge Matti studierte Mitte der 70er am Einstein-Institut in Moskau. Im Zuge der Biermann-Ausbürgerung ging er 1978 in den Westen. „Ich kam damals ja von einem Extrem ins andere Extrem – von der Sowjetunion in die Bundesrepublik“, erinnert er sich. „Durch die Sprache wirkte dann der Westen wiederum relativ vertraut. Der Wohlstand ließ mich allerdings unberührt. Ein Gefühl, das ich heute noch habe. Manchmal gehe ich in Berlin durch die Kaufhäuser und bin froh, dass ich mir das alles nicht kaufen muss.“

Geschonneck arbeitete lange als Regieassistent; erst 1993, da war er schon über 40, übernahm er zum ersten Mal selbst die Regie. Seitdem dreht er mindestens zwei Produktionen pro Jahr, und immer fürs Fernsehen. „Ich muss meinen Namen nicht auf einem Kinoplakat sehen.“ Dabei hat er über die letzten Jahre eine sehr eigene Handschrift entwickelt, seine Filme kreisen auffällig oft um ein Thema: den Einbruch der Vergangenheit in die Gegenwart. „Es gibt eine ständige Wehmut bei mir. Allerdings keine Nostalgie, keine Sehnsucht nach dem Vergangenen.“

Die Vergangenheit ist bei Geschonneck stets ein ungelöster Fall, oft bricht das Verdrängte durch einen persönlichen Konflikt auf. In „Die Nachrichten“ reicht dazu ein simples Gerücht. Geschonneck lässt seine Figuren – meist arriviert und doch seltsam unfertig – frontal aufeinander stoßen. Er beobachtet sie beim Reden, auf bequeme Schnitt-Gegenschnitt-Folgen verzichtet er weitgehend.

Auf diese Weise stellt sich in seinen Dramen stets eine gewisse Klaustrophobie ein, selbst wenn die Menschen auf einem offenen Feld miteinander sprechen – so wie in einer Szene von „Die Nachrichten“. Dort sieht man, wie der unter Stasi-Verdacht geratene Nachrichtensprecher und sein Peiniger auf einem Acker aufeinander einreden. Geschonneck erinnert sich, dass Jan Josef Liefers und Henry Hübchen sich immer wieder voneinander abwenden wollten, um den Platz um sich herum zu nutzen, und wie er schließlich Markierungen auf den Boden anbrachte, damit sie eng beieinander blieben. Gefangen in der Totale.

Warum ist Geschonneck eigentlich erst jetzt, 15 Jahre nach der Wiedervereinigung, eine Story mit deutsch-deutschem Hintergrund angegangen? „Klar, ich hatte schon vorher Angebote, Filme zu drehen, die sich mit der DDR-Geschichte auseinander setzten. Aber die trugen das Thema immer so vor sich her.“ Leicht pikiert fügt er hinzu: „Ich wollte auf gar keinen Fall einen Bewältigungsfilm drehen.“ Tatsächlich liegen mögliche und reale Schuld in „Die Nachrichten“ dicht beisammen, Geschonneck spricht vom „merkwürdigen deutschen Irrgarten“.

Ein Wagnis, dieses moralisch unübersichtliche Terrain zu betreten. Geschonneck: „Mir ging es darum, die Menschen in ihrer Widersprüchlichkeit zu zeigen. Bei dem Ex-Stasi-Offizier etwa erschien es mir angebracht, ihm eine echte tragische Größe zu geben, statt ihn im verschwitzten Unterhemd dasitzen zu lassen und von vornherein zu desavouieren.“ Dass die durchweg exzellenten Darsteller allesamt aus dem Osten stammen, hat sich laut Geschonneck einfach so ergeben – und sorgte bei der riskanten Exkursion vielleicht doch für das nötige Einfühlungsvermögen. Die Figuren sind krass, unterwandern aber immer wieder die bekannten Klischees.

Dass „Die Nachrichten“ zum Tag der Deutschen Einheit gesendet wird, ist natürlich eine feine Fügung. Erzählt diese nationale Tragikomödie doch anschaulich davon, dass Ost und West nicht im wiedervereinigten Deutschland angekommen sind. „Ich glaube, dieses Zusammenwachsen ist ein viel längerer Prozess, als man das am Anfang wahrhaben wollte. Das finde ich aber überhaupt nicht schlimm“, so Geschonneck. „Ich zum Beispiel bin seit 27 Jahren im Westen – und trotzdem ein Ossi.“