: Vorurteile am laufenden Band
ANTISEMITISMUS Eine Installation über das Verhältnis jüdischer und nichtjüdischer Sportler führt zum Streit: Das Kunstwerk leiste antisemitischen Vorurteilen Vorschub, heißt es. Auf Betreiben der SPD im Bezirk ist die Installation zurzeit abgeschaltet
VON BRIGITTE WERNEBURG
Seit fast sechs Jahren heißt der „Sportplatz am Eichkamp“ in Charlottenburg-Wilmersdorf „Julius-Hirsch-Sportanlage“. Benannt ist die Anlage nach dem früheren deutschen Nationalspieler und Fußballer des Karlsruher FV sowie der Spielvereinigung Fürth, Julius Hirsch, der 1943 nach Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet wurde. Die Umbenennung der Anlage, die zugleich Vereinssitz des jüdischen Sportvereins TuS Makkabi ist, steht in Zusammenhang mit dem Umdenken des Deutschen Fußball-Bunds (DFB), der 2005 mit „Fußball unterm Hakenkreuz“ endlich eine kritische Untersuchung über seine Rolle während der Nazi-Zeit in Auftrag gab.
Seither verleiht der DFB jedes Jahr den Julius-Hirsch-Preis, der sowohl den Fußballer ehren als auch die Verbandsmitglieder ermutigen will, sich gegen Diskriminierung und Ausgrenzung auf dem Platz zu stellen. Viel fruchtet das Programm jedoch nicht.
Im Gegenteil: Zwar bezeichneten sich seine Fußballer als protestantisch, muslimisch, jüdisch oder religionslos, so der Trainer des TuS Makkabi, Claudio Offenberg. Allerdings sähen sie sich regelmäßig mit antisemitischen Beschimpfungen konfrontiert. Feindseligkeiten, die, wie Offenberg meint, auch von einer Installation gestützt werden, mit der die kolumbianische Künstlerin María Linares 2010 den Kunst am Bau-Wettbewerb des Bezirks für die Sporteinrichtung gewann.
In der Arbeit setzt sich Linares mit dem Namengeber der Anlage auseinander und untersucht das heutige Verhältnis jüdischer und nichtjüdischer Sportler in Gesprächen mit den Nutzern der Anlage. Die Ergebnisse der Gespräche sind bereits seit zwei Jahren als Fließtext auf einem LED-Laufband im Vereinsgebäude nachzulesen. Und obwohl sich keine Abgründe auftaten, sind sie seit zwei Jahren umstritten.
Jüdisch und nichtjüdisch, Ost und West, mit oder ohne Migrationshintergrund – das sind die Themen, um die sich die Gespräche mit den Herrenmannschaften des TuS Makkabi und des Sport-Clubs Charlottenburg drehten. Auch Geld ist ein Thema im Sport, wie die LED zeigt: „Ich denke, im Profisport geht es nicht um die Religion, da geht es einfach nur ums Gewinnen. Und sie machen sich keine Gedanken. Ihnen ist vollkommen egal, ob ich Jude bin und ob der Spieler neben mir ein Araber, ein Türke oder Muslim ist. Das ist ihnen egal. Hauptsache, die Kohle stimmt auf dem Konto.“
Damit, meint Claudio Offenberg, leiste das Kunstwerk antisemitischen Vorteilen Vorschub – wie etwa dem, Juden seien reich. Wobei er im Gespräch das Leuchtband sehr wohl als Dokument eines Gesprächs über Rassismus und Antisemitismus anerkennt – und nicht als Dokument eines rassistischen, antisemitischen und vorteilsbehafteten Gesprächs sieht.
Dennoch: Der Ort der Installation gebe einer diskursiven Auseinandersetzung mit der Arbeit keinen Raum, sagt Offenberg. Fremde Sportler unter Zeitdruck könnten sich kein angemessenes Bild von der Installation machen, erhaschten nur ein Zitat, in dem sie ihre Vorurteile dann bestätigt sähen. Die Plausibilität dieses Arguments wird jedoch durch die Ablehnung konterkariert, dem das Kunstwerk just dort begegnet, wo die diskursive Auseinandersetzung geleistet werden kann. Denn gerade die ständigen Nutzer der Anlage werfen der Laufschrift vor, antisemitisch zu sein, so Offenberg.
Dieser Vorwurf ist aber falsch – auch dort, wo ihn die Jüdische Allgemeine mit falsch wiedergegebenen und frei erfundenen Laufschriftzitaten erhebt. Es gibt keine „Antisemitische Endlosschleife“, wie ein Artikel vom 8. November behauptet – sondern eine absichtsvolle Intervention der zeitgenössischen Kunst in den Ablauf des Sportalltags, die für Irritation, Nachdenken und Erinnern sorgen soll. Inwieweit das gelingt, ist die Diskussion sicher wert.
Das Laufband vorübergehend abzuschalten, wie es die SPD im Bezirk jetzt durchgesetzt hat, ist jedoch kein substanzieller Beitrag zur notwendigen Debatte. Heute nun tagt die Fachkommission „Kunst am Bau, Kunst im Stadtraum“ des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf, der die Künstlerin María Linares einen Vorschlag zur Erweiterung und Ergänzung ihrer Arbeit unterbreiten wird.