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Archiv-Artikel

„Bush kapiert nicht: Ökologie bringt Jobs“

Greg Nickels, Bürgermeister von Seattle, engagiert sich dafür, dass die USA endlich Kioto unterschreiben und weniger Treibhausgase produzieren. Dieser Kampf beginnt im Rathaus von Seattle und führt über das Weiße Haus in die UNO

taz: Mister Nickels, warum macht sich ein Bürgermeister im Norden der USA darüber Gedanken, was die Hurrikankatastrophe in New Orleans im Süden der USA für seine Stadt bedeutet?

Greg Nickels: Es geht in beiden Fällen um die Auswirkungen der Erderwärmung unserer Städte. Zugegeben, für Seattle ist das jetzt weniger dramatisch als in New Orleans. Aber es gibt sie auch.

Seattle ist doch kein Hurrikangebiet?

Nein. Uns trifft die Erderwärmung an anderer Stelle.

Wo?

Bei uns geht es um den Schneegebiete in den Cascade-Bergen. Wir sind von diesem Schneegebiet abhängig, weil wir das angestaute Wasser in Strom umwandeln. Aber die Schneedecke wir immer dünner. Das kann künftig unsere Strom- und Wassersysteme obsolet machen.

Sie waren Initiator der Bürgermeister-Aktion, das Kioto-Protokoll zumindest in den Städten der USA zu erfüllen. So zynisch das klingen mag: Werden die Bilder von New Orleans Ihrer Initiative helfen?

Ich glaube, ja! Wenn Sie sich die Städte ansehen, die der Bürgermeister-Initiative beigetreten sind, dann sind das vor allem Städte an der Küste Floridas und der Golfregion rund um New Orleans. Das ist absolutes Hurrikangebiet. Zwei Jahre schon fallen die Hurrikansaisons extremer aus, als es die Städte dort je vermutet hätten. Sie sind dort jetzt ziemlich sensibilisiert, was das Thema globale Erwärmung angeht. Und sie werden alles versuchen, um die Treibhausgase zu reduzieren.

Sie haben keinen Hurrikan gebraucht, um die Pro-Kioto-Initiative zu starten. Um was geht es Ihnen?

Ich war immer ein Kommunalpolitiker, meine ganze Karriere lang. Und ich glaube an die Stärke des lokalen Handelns. Ende 2005 werden wir die erste Stadt in den USA sein, die die Treibhausgasemission der stadteigenen Strom-Einrichtungen auf Null gedrückt haben. Im regionalen Rahmen kann man eher ein Bewusstsein für das schaffen, was auf nationaler Ebene vielleicht schwerer durchsetzbar ist. Die USA müssen die Weltgemeinschaft in diesen Fragen anführen. Wir müssen als einer der Hauptverursacher von Treibhausgasen viel weiter gehen, als es Kioto vorschreibt.

Das sieht Ihr Präsident George W. Bush ganz anders.

Die USA haben eine moralische Verpflichtung, dem Kioto-Abkommen beizutreten. Die Argumente der Bush-Regierung stimmen nicht.

Nämlich?

Bush sagt immer, Kioto würde unserer Wirtschaft schaden. Wieso? Das Gegenteil ist doch der Fall. Wir hinken der Welt hinterher, was den grünen Wirtschaftssektor angeht, was die Entwicklung neuer Umwelttechnologien angeht. Da werden Jobs und wirtschaftliche Gewinne verschenkt.

Müssen Sie nicht auch den Beweis antreten, dass Umweltschutz in Seattle auch wirtschaftliche Vorteile bringt?

Sicher. Auch wir, als Stadtregierung, müssen da mit gutem Beispiel vorangehen. Das macht sich oft im Kleinen fest. Nehmen Sie dieses Gebäude, in dem wir gerade sitzen …

das Rathaus …

Das Rathaus ist ein so genanntes Umweltgebäude, wie es viele in der Stadt gibt. Wenn Sie auf die Toilette gehen, dann wird mit gereinigtem Regenwasser gespült, das wir auf dem Rathausdach sammeln. Das spart vier Millionen Liter Wasser pro Jahr. Nicht alles hat so perfekt funktioniert wie unsere Regenwassertechnik. Aber die Rolle von Regierungen – ob einer Stadt oder eines Landes – ist doch, zu experimentieren und zu beweisen, wie diese Technologie einen Markt eröffnen kann. Dieses Toilettensystem wird nicht nur im Rathaus angewandt. Mein Ziel ist es, dass jede Stadt, die unserer Initiative beigetreten ist, ihre Erfahrungen mit solchen Techniken einbringt. Dieses Netzwerk an Städten muss irgendwann ein großes Menü mit den verschiedensten Umweltschutzaspekten zusammenstellen. In diesem Menü kann sich dann jede US-Stadt bedienen. Dann werden unsere Aktionen auch die nationale Agenda bestimmen.

Es gab überhaupt keinen Widerstand seitens der Wirtschaft?

Klar achten wir bei all unseren Aktivitäten auf die Bedürfnisse der Wirtschaft. Es wäre verheerend, wenn die Wirtschaft in Seattle Wettbewerbsnachteile hätten, nur weil sich ein paar irre Umweltschützer wie ich zusammengetan haben. Seattle ist vom Handel abhängig – unsere Güter und Techniken müssen dem Wettbewerb standhalten können. Als wir unsere öffentlichen Verkehrsmittel in der Stadt komplett auf Biodiesel umgestellt haben, da mussten wir auch den Beweis antreten, dass es funktioniert, dass die Umstellung letzten Endes Vorteile bringt. Nur braucht es dafür zunächst einen politischen Willen.

INTERVIEW: PAUL STINSON