: 97,36 Prozent für die Generalamestie
Einen klaren Sieg beim Referendum vermeldet Algeriens Regierung. Opposition spricht von „unglaublicher Fälschung“
ALGIER taz ■ Besser hätte das Ergebnis beim Referendum über die „Charta für den Frieden und die nationale Aussöhnung“ in Algerien gar nicht ausgehen können. Nach Angaben des Innenministeriums haben 97,36 Prozent für die Pläne von Staatspräsident Abdelasis Bouteflika gestimmt, eine Generalamnestie für all diejenigen zu erlassen, die in den 90er-Jahren während des blutigen Konflikts zwischen Islamisten und Armee Gewalttaten begangen haben.
Viele terroristische Akte bleiben damit ebenso ungeahndet wie die Menschenrechtsverletzungen seitens Polizei und Armee. Die Wahlbeteiligung lag nach offiziellen Angaben bei 79,76 Prozent. Innenminister Nourredine Yazid Zerhouni zeigte sich damit zufrieden. Die Opposition, die zum Boykott gerufen hatte, beschwert sich. Die Zahlen seien „aufgeblasen“.
Die Wahlbeteiligung war nach den offiziellen Zahlen dort am höchsten, wo der blutige Konflikt sich kaum bemerkbar machte. Vor allem in der Sahara im Süden des Landes wurden Rekordbeteiligungen von über 90 Prozent gemeldet, die niedrigsten aus der Kabylei, der Heimat der Berberminderheit östlich der Hauptstadt Algier.
In den Dörfern der Mitidja, der fruchtbaren Ebene zwischen Algier und den ersten Ausläufern des Atlasgebirges, gingen nur wenige an die Urnen. Diese Region hatte am meisten in den Jahren des Terrors gelitten.
Aus der Hauptstadt Algier wurde, anders als aus den anderen Provinzen, den ganzen Tag über keine Wahlbeteiligung bekannt gegeben. In den Wahllokalen, die der Korrespondent dieser Zeitung um 14 Uhr besuchte, hatten erst zwischen 7 und 10 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimmen abgegeben. Um 19 Uhr dann, eine Stunde vor Schließung der Wahllokale, verweigerten Polizeibeamte der Presse den Zugang. „Befehl aus dem Rathaus“, entschuldigte sich der Vorsitzende eines der Wahlbüros, der nachmittags noch bereitwillig Akteneinsicht gewährt hatte.
Erst bei der Pressekonferenz von Innenminister Zerhouni gab es dann Zahlen aus Algier. 71,16 Prozent sollen an die Urnen gegangen sein. Selbst bei Parlamentswahlen liegt die Beteiligung in Algier immer nur um die 50 Prozent.
Auf die Frage eines algerischen Journalisten, warum überall im Lande die Beteiligung in den letzten Stunden spektakulär in die Höhe schnellte, machte der Minister die Algerierinnen dafür verantwortlich. „Sie wissen doch, dass die Frauen in Algerien morgens das Haus nicht verlassen. Sie sind in den letzten Nachmittagsstunden massiv zur Abstimmung erschienen.“
Als „unglaubliche Fälschung“, bezeichnet der Sprecher der Front der Sozialistischen Kräfte (FFS), Ali Laskri, die Zahlen. In den meisten großen Städten des Landes habe kaum jemand abgestimmt. „Das Referendum vertieft einmal mehr die Kluft zwischen dem Regime und den Menschen im Lande“, ist sich Laskri sicher. REINER WANDLER
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