piwik no script img

Archiv-Artikel

Acht Jahre U-Haft sind Karlsruhe viel zu viel

Richter rügen lange Untersuchungshaft eines Beklagten, der sechs Menschen in die Luft gesprengt haben soll

FREIBURG taz ■ Dieser Fall ist in jeder Hinsicht extrem. Da soll ein Hauseigentümer sein eigenes Mietshaus in die Luft gesprengt haben, um die Versicherungssumme zu kassieren – sechs Menschen starben. Doch der Prozess schleppte sich durch die Instanzen, nach acht Jahren sitzt der Mann immer noch in Untersuchungshaft. In einem geharnischten Beschluss sieht nun das Bundesverfassungsgericht das „Recht auf Freiheit“ des mutmaßlichen Mörders verletzt.

Seit 1997 sitzt der Düsseldorfer Hauseigentümer N. in U-Haft. In einem Indizienprozess wurde er nach 120 Verhandlungstagen im August 2001 zu „lebenslänglich“ verurteilt. Doch zwei Jahre später hob der Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil auf. Grund: Die Aussage einer Belastungszeugin hätte nicht verwertet werden dürfen, weil ihr Anwalt von der Vernehmung nicht benachrichtigt worden war. Derzeit läuft am Landgericht Düsseldorf die Neuauflage des Verfahrens.

N. sitzt aber noch immer in U-Haft. Bis zu einem rechtskräftigen Urteil gilt für einen Angeklagten zwar die Unschuldsvermutung. Die Düsseldorfer Richter sehen jedoch wegen der drohenden Höchststrafe „Fluchtgefahr“. Auch der dringende Tatverdacht bestehe fort, immerhin sei ein Mitangeklagter inzwischen rechtskräftig verurteilt. Die lange Verfahrensdauer rechtfertigen die Richter mit der komplexen Beweislage und dem rechtsstaatlichen Instanzenweg. Außerdem könne derzeit nur drei Stunden am Tag verhandelt werden, weil der Angeklagte unter Depressionen leide.

Dies alles ließ nun das Verfassungsgericht nicht gelten. Der Staat habe die überlange Prozessdauer durch seinen Verfahrensfehler selbst verursacht. Und auch sonst dauerte den Verfassungsrichtern alles zu lang: Der Prozess in erster Instanz, die Stellungnahme des Generalbundesanwalts, die Revision beim BGH – überall hätten einige Monate eingespart werden können. In der Gesamtheit gesehen, liege hier wohl eine vermeidbare und vom Staat „verschuldete“ Verfahrensverzögerung vor. „Es kann in einem Rechtsstaat nicht sein, dass die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte nach acht Jahren Untersuchungshaft nicht mehr in Händen halten als einen dringenden Tatverdacht“, heißt es im Beschluss.

Zwar muss jetzt noch das OLG Düsseldorf über die Haftentlassung entscheiden. Bei so klaren Worten aus Karlsruhe bleibt ihm wohl keine andere Wahl, als den Mann gegen Kaution vorerst freizulassen.

Schon im März diesen Jahres hatte das Bundesverfassungsgericht mit einem ähnlichen Beschluss für Aufsehen gesorgt. Damals rügte Karlsruhe die U-Haft eines in erster Instanz verurteilten Menschenhändlers, dessen Revisionsverfahren zu lange dauerte. (Az.: 2 BvR 1315/05)CHRISTIAN RATH