: Adieu, Pfeffer, Curry, Zimt & Co
Nachhaltigkeit I Das Restaurant „einsunternull“ setzt auf Lebensmittel aus der Region. Es arbeitet mit Kleinst- erzeugern aus dem Umland zusammen. Und hat tonnenweise eingewecktes Gemüse und Obst im Keller
von Uta Eisenhardt
Tropenfrüchte sind lecker. Nachhaltig oder gar ökologisch sind sie nicht – längst denkt man in der Spitzengastronomie über solche Aspekte nach. Auch Restaurantfachmann und Sommelier Ivo Ebert fühlt sich dieser Bewegung verpflichtet, will dabei aber nicht dogmatisch sein, sondern in seinem Restaurant „einsunternull“ die Balance zwischen modern und konservativ, zwischen Vernunft und Hedonismus finden.
Dafür nutzt man am besten Vorhandenes und gestaltet es zu etwas Besonderem – dieses wichtige Prinzip ist schon an der Eingangsfront des Restaurants in Mitte zu erkennen: Im Empfangsbereich wurde der Boden auf Niveau des Bürgersteigs abgesenkt, so wirkt er einladend und ist barrierefrei.
Diese Leitlinie setzt sich in der Küche fort, die konsequent regionale Zutaten verwendet. Adieu, Pfeffer, Curry, Zimt oder Schokolade! Herzlich willkommen, Wasserpfeffer, der in heimischen Flüssen wächst. Unreife Äpfel ersetzen das Zitronen-Aroma. Sogar japanisches Miso kreiert Küchenchef Andreas Rieger aus der einheimischen Flora: Austernpilze werden getrocknet und püriert, mit Wasser aufgegossen und fermentiert (vergärt – Anm. d. Red.), im Topf reduziert und gesalzen.
Wert auf Handarbeit legen
Ivo Ebert und sein Küchenchef arbeiten nur mit solchen Betrieben zusammen, die sich ähnliche Gedanken um ihre Erzeugnisse machen. Das sind Kleinstproduzenten, die Wert auf Handarbeit legen, um dieser „wieder eine Plattform zu geben“, wie es der Restaurantchef formuliert.
Zu diesen Kleinstproduzenten gehört Roberto Vena von der „Wilden Gärtnerei“ (siehe Text unten links). Dort hat Ivo Ebert im Sommer ein einwöchiges Praktikum absolviert und den nährstoffarmen Sandboden mit „Terra Preta“ bearbeitet – ein von brasilianischen Ureinwohnern entwickeltes Düngemittel aus Pflanzenresten, Pferdemist und Gras, das mit Bio-Holzkohle vermischt wurde. „Galaktisch süße Tomaten“ habe er geerntet. „Die Produkte haben Seele“, schwärmt Ebert.
Die Geschichte: Das „einsunternull“ wurde im November 2015 eröffnet.
Das Essen: Lunch von Dienstag bis Samstag 12–14 Uhr, Dinner Montag bis Samstag 19–22.30 Uhr.
Die Preise: Lunch mit drei, vier oder fünf Gängen für 29–45 Euro; Dinner-Menü ab sechs bis zu zehn Gängen für 77 Euro bis 117 Euro; Essen auch à la carte möglich.
Die Adresse: Hannoversche Straße 1, Mitte. (ue)
Lieber alte Sorten
Auch Spargellieferant Paul Schulze verzichtet auf wachstumsfördernde Folien und auf Kunstdünger und benutzt statt Pflanzen aus den Niederlanden, die fade und wässrig schmecken, lieber die alte und würzigere Sorte Epus. Das Fleisch kommt aus Hakenberg (siehe Text unten rechts): Die Schlachterei legt Wert auf kurze Transportwege, eine ruhige Entladung und stressarme Schlachtung. Die Äpfel für den selbst gepressten Saft stammen von einer Bernauer Streuobstwiese, Kefir und Kombucha werden im Haus selbst angesetzt, das krustige Sauerteigbrot ebenfalls hier gebacken.
Die weitesten Wege legen der brasilianische Fairtrade-Kaffee und die Weine der deutschen, italienischen, französischen, spanischen oder österreichischen Winzer zurück. „Die Berliner Brühe kann man nicht trinken“, bedauert Ivo Ebert.
Das Herzstück der Küche von „einsunternull“ aber steckt in Hunderten Gläsern, die bei etwa 18 Grad im Untergeschoss lagern, teilweise sogar dekorativ auf kleinen Mauervorsprüngen drapiert wurden – über den Tischen im ehemaligen Bierkeller, der beim Umbau alles Muffige, Gedrückte verlor, indem sein Boden über 50 Zentimeter abgesenkt wurde.
Eingewecktes auf dem Teller
„Rund 1,6 Tonnen Eingewecktes“, sagt Ivo Ebert und deutet auf die in Essig eingelegten Karotten und Holunderblüten sowie auf den in Steinsalz eingelegten Bronzefenchel. Spargel, Kohlrabi, Gurken, Radieschen und Co wurden fermentiert, also milchsauer vergoren.
Noch vor einigen Jahrzehnten war es hierzulande völlig normal, Gemüse auf diese Art haltbar zu machen. Das Sauerkraut ist der bekannteste Vertreter dieses Glas-Gemüses.
Dann aber kamen die Tiefkühltruhe, das Importobst und -gemüse sowie eine Reihe künstlicher Konservierungsstoffe – das Wissen um die Fermentierung ging verloren. Zum „einsunternull“-Prinzip passt es perfekt: Das im Sommer und Herbst reichlich vorhandene Obst und Gemüse wird haltbar gemacht, dabei sogar geschmacklich veredelt. Ganzjährig kontert nun milchgesäuerter Spargel einen Müritz-Stör, die fermentierte Pflaume gesellt sich zu einem Granité von Holunderblüte in Kombination mit Hopfenschaum. Die gesalzene Dillblüte liefert den Kontrast zum süßen Dessert.
Die staunenden Gäste können mit ihrem Gastgeber über Nachhaltigkeit, über Entschleunigung und den Wert des Handwerks sprechen. Man darf aber auch nur den Geschmack genießen.
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