Die Wahrheit: Boom-chicka-Boom in 95 Thesen

Gewitzt wie nichts Gutes, steht unser Autor hier und jetzt im Begriff, zehn Jahre zahlloser Luther-Events mit einem Federstrich aus der Welt zu schaffen.

Ein Fazit vorweg: Information vergeigt manche Pointe, sei diese genial oder flach oder genial flach. Exemplarisch schildere ich das an meinem Bashing der sogenannten Lutherdekade seit 2008. Deren Höhepunkt und Abschluss findet bekanntlich am 31. Oktober statt, dem Tag, an dem Martin Luther vor 500 Jahren seine 95 Thesen gegen den Ablassmissbrauch veröffentlichte.

Warum das Ereignis zehn Jahre lang gewürdigt werden muss, erklärt die offizielle Internetseite zur Dekade: „Ein Ereignis, das thematisch und strukturell so komplex ist, wie das 500-jährige Reformationsjubiläum, will gut vorbereitet sein und bedarf einer entsprechenden Vorlaufzeit.“

Gewitzt wie nichts Gutes stehe ich hier und jetzt im Begriff, diese zehn Jahre zahlloser Events mit einem Federstrich aus der Welt zu schaffen. Denn ich bin auf einen Kontrast gestoßen. Niemand Geringeres als Johnny Cash hat das thematische und strukturelle Ereignis in einem Song prophetisch in schlappen zwei Minuten verdichtet – „Luther Played the Boogie“ heißt er. Cash knurrt im Refrain rasend schnell, um dann an dessen Schluss in ein gewagtes „… in the strangest kind of way“ zu münden.

Aufgenommen hat Johnny Cash den Song mit seiner Band Tennessee Two 1955, aber als Single veröffentlicht hat er ihn erst 1959. Haderte Cash, Baptist und nach Selbstaussage „der größte Sünder von allen“, wohl mit der Botschaft? Musste er etwa mit Protesten seitens irgendeiner der zahllosen evangelischen oder evangelikalen Kirchen rechnen?

Tja, nun sei die bereits angedeutete Pointenzerstörung offenbart, deren Ursache Cash-Experten längst belächeln: Als ich tiefer in der Country-Historie grub, erfuhr ich, dass Cash natürlich nicht den Reformator meint, sondern den Gitarristen seiner Band namens Luther Perkins.

Wie strange Luther Perkins den Boogie traktiert, hört man sofort. Die Band hatte zunächst keinen Schlagzeuger, und so verwendete einerseits Cash ein Stück Papier unter den Saiten am Gitarrenhalsende, Luther wiederum zupfte seine Fender Esquire betont perkussiv und schlicht. Der „Boom-Chicka-Boom“-Stil ward geboren, der Zug stampft unermüdlich, treibt voran.

„Boom-Chicka-Boom“: Ich finde, so verkehrt lag ich mit meinem Konzept denn doch nicht. Der reformatorische Luther dürfte dieser Rhythmusart nicht ausgewichen sein. Stellen Sie sich vor, wie er seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg genagelt hat. Ich sage nur „Boom-Chicka-Boom“!

Und nehmen wir aus der dritten These den Ausschnitt „vielfältige Marter des Fleisches“: Boom-Chicka-Boom, oder? Wie beginnt die 16. These? „Hölle, Fegefeuer, Himmel“ – Boom-Chicka-Boom. Und so weiter und so fort und egal, ob Luther die Thesen wirklich an die Tür geschlagen hat oder nicht. (Ist umstritten.)

Hiermit ist die Lutherdekade insoweit doch eingetütet und beendet. Wer hätte das anfangs gedacht? Ich jedenfalls nicht.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.