Berliner Szenen
: In der Umkleide

Adoptiert

Ich verstehe nur „Merkel“, „Europa“ und „Westsumatra“

Die andere Familie meines Vaters hat mich zu einem indonesischen Kulturfestival eingeladen. Zur anderen Familie meines Vaters gehören eine ehemalige Schülerin aus seinem Deutschkurs für Ausländer, ­deren Ehemann und zwei ­Töchter. Vor zwei Jahren, nach Beenden des Kurses haben sie ihn zu sich eingeladen und seitdem als deutschen Opa adop­tiert.

Als ich am Samstag kurz nach elf in der Clayallee ankomme, stehen vor dem Gebäude Männer und Frauen. Die Frauen tragen rote, blaue, grüne und ­goldene Gewänder und viel Goldschmuck, die Männer schwarze Samtanzüge und schwarze Lederschlappen. Elle und Bella, die Töchter der Familie, rennen mir entgegen: „Komm mit, wir gehen zu Mama in die Umkleide!“ In den Kellerräumen herrscht großes Gedränge. Im Flur stehen alle bereits fertig ange­zogenen Performer und machen Selfies, auf dem Boden liegen Handtaschen, Anziehsachen, Make-up-Taschen, Schmuckschatullen und Haarteile verteilt. Die Mädchen lachen. „Die haben hier Stress. Komm mit!“

Sie ziehen mich wieder hinter sich her die Treppen rauf. Oben zeigen sie mir das Buffet. „Das ist für später, aber du kannst dir schon mal einen Tee oder so nehmen, du gehörst ja zu uns.“ Die beiden nehmen drei Pappbecher und schenken Tee ein. Ich fühle mich etwas seltsam. Noch bin ich die Einzige, die kein Kostüm trägt, und außer einem Freund der Familie auch die einzige Weiße.

Zur Eröffnung wird ein englischsprachiger Film über Westsumatra gezeigt, danach hält der indonesische Botschafter eine halbstündige Rede. Ich verstehe nur „Merkel“, „Europa“ und „Westsumatra“. Zum Abschluss übersetzt er: „Wir hoffen, Ihnen gefallen unsere ­Darbietungen und sie reisen mal nach Indonesien.“ Ich muss lächeln. Ich fühle mich bereits etwas verreist.

Eva-Lena Lörzer