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Fauchen, zischen, keuchen

Festival Melodramatische Wendungen, Emanzipationsgeschichten, Klagegesänge, meckerndes Stottersingen: Dieses Jahr widmete sich das Ultraschall-Festival besonders dem Anderen in der Neuen Musik – der Stimme

Die Vielstimmigkeit, sich im Kreis findend: das Solistenensemble Phoenix16 beim Ultraschall-Festival Foto: Kai Bienert

von Thomas Mauch

Am Sonntagabend gab es dann noch etwas Aufregung. Laute Buhrufe schallten durch den Großen Sendesaal des RBB, was, nach kurzer Verwirrung, mit einigen trotzigen „Bravo“ gekontert wurde. Nicht wirklich auszumessen war dabei allerdings, ob die nun dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin galten oder tatsächlich doch dem Stück selbst, das es aufzuführen hatte beim Abschlusskonzert des Ultraschall-Festivals: die Fünfte Sinfonie von Heinz Winbeck, geschrieben in einer Auseinandersetzung mit Anton Bruckner. Schmetterndes Horn und Geigenschmelz, schwülstig melodramatisch und ohne irgendwelchen ironischen Zungenschlag einfach das 19. Jahrhundert noch einmal nachkomponierend.

Was man ja mal als ein musikalisches Reenactment betrachten mag, das aber schon einigermaßen arg old school wirkte bei einem Festival, das eben der Neuen Musik und der Avantgarde verpflichtet ist. Dass sich allerdings auch das Publikum derart laut die Stimme erhebend in die Programmgestaltung einmischte, das passte eigentlich wiederum bestens zur Dramaturgie des Festivals, das in seiner 19. Ausgabe doch einen entschiedenen Fokus auf die menschliche Stimme und deren Möglichkeiten setzte.

Möglichkeiten, wie sie Dieter Schnebel in einem Essay skizzierte: „Da röhrt es und lallt’s, Aufschreie ertönen und Gelächter, es wird gejohlt, losgeheult, aber auch sirenenhaft gesungen. Sänger fauchen, zischen, keuchen …“

Dieser bereits 1970 entstandene Text „Sprech- und Gesangsschule (Neue Vokalpraktiken)“ wurde beim Festival vom Schauspieler Gerd Wameling vorgetragen. Als Reverenz einerseits an den Komponisten, der den Umgang mit der menschlichen Stimme in der Neuen Musik erweitert, ja revolutioniert hat. Und andererseits eben als historischer Verweis darauf, dass es sich beim Umgang mit der Stimme schon auch um eine Emanzipationsgeschichte handelte, die ihren Platz erst mal finden musste in der Neuen Musik.

In einem Gespräch nach der Lesung seines Textes wies Dieter Schnebel selbst noch einmal darauf hin, dass in den fünfziger Jahren, parallel zur abstrakten Kunst, in der Avantgarde eben vor allem auf eine abstrakte Musik hingearbeitet wurde. Texte und Singstimme hatten da wenig Platz.

Dass die Welt der zeitgenössischen Musik im Wesentlichen instrumental sei, schrieb auch Rainer Pöllmann – zusammen mit Andreas Göbel Ultraschall-Leiter – in einem Text zum Festival, und dass die Stimme darin dann „das Andere“ sei.

Zählte man „das Andere“ im diesjährigen Programm schlicht durch, war das, zumindest wenn gesungen wurde, weit überwiegend mit Frauenstimmen besetzt.

Wobei sich in der Ansprache und musikalischen Artikulation wiederum der Kunstgesang der Sopranistin Mojca Erdmann beispielsweise doch entschieden anders anhörte als die ansonsten im Folk und Jazz beheimatete Sängerin Lena Willemark, die am Samstag im Radialsystem die „Nine Nights“, eine Art Gothic-Schauermärchen der schwedischen Komponistin Karin Rehnqvist, singsangte und hinausschrie. Oder das meckernde Stottersingen, dem sich die drei Sängerinnen der Neuen Vocalsolisten bei Sebastian Clarens „Schlachten 2“ unterziehen mussten: vor allem wohl als Beweis, dass Neue Musik halt immer noch die Lizenz zum Quälen hat.

Die Welt der zeit­genössischen Musik ist im Wesentlichen instrumental

Anders ungemütlich und dabei wesentlich ertragreicher hörte sich der Freitagabend im Heimathafen an. Da wurde im Schnebel’schen Sinne gefaucht, gezischt, gekeucht und überhaupt der reiche Katalog an stimmlichen Möglichkeiten durchgeblättert, und das in einer schroffen Dringlichkeit. Vor allem in den „Nuits“ von Iannis Xenakis. Ein Klagegesang aus dem Jahr 1967. Er hat nichts von seiner erschütternden Wirkung verloren.

Geschickt wurden in diesem Programm mit dem Solisten­ensemble Phoenix16 die aus den Sechzigern und Siebzigern stammenden Vokalwerke mit Arbeiten aus den Pioniertagen der elektronischen Musik konfrontiert. Etwa von Ivo Malec, die sich mit ihren fröhlich übereinanderstürzenden und in sich kollabierenden Klängen, obwohl in den Siebzigern entstanden, auch bei dem demnächst startenden CTM-Festival allemal frisch ausmachen würden.

Dass Musik letztlich schlicht ein Marktplatz ist, auch das wurde an diesem Abend im Heimathafen mit einer Komposition von Vinko Globokar („Airs de voyage vers l’intérieur“, 1978) verhandelt. Rede, Widerrede. Kommunikation eben. Man hörte das als diszipliniert wildes Durcheinandersingen, was sich am Ende bei den Singenden von Phoenix16 in einem sich zum Rundtanz schließenden Chor zusammenfand.

Was Gemeinsames. Ohne die Vielstimmigkeit preiszugeben. Das passte als Bild durchaus zum gesamten, von der Stimme angetriebenen Ultraschall-Festival in diesem Jahr.

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