Munteres Mythenraten

Oper „King Arthur“ von Henry Purcell war ein Bühnenschlager des englischen Barocks: Doch eine Inszenierung an der Staatsoper kann mit dem ganzen Mummenschanz nicht recht was anfangen

Kampf der Pappkameraden: „King Arthur“ in der Staatsoper Foto: Marcus Lieberenz

von Katharina Granzin

Auch in den Künsten gibt es manch britischen Sonderweg. Dazu gehört die Erfindung der „Semi-Oper“, die im englischen Barock eine populäre Bühnengattung war: eine Mischform aus Oper, Schauspiel und Nummernrevue. Henry Purcell schrieb in seinem kurzen Leben (1659–1695) zwei davon, eine war „King Arthur“, das fortan beliebteste seiner Werke. Das Libretto war ursprünglich ein Theaterstück des Dramatikers John Dryden. Unter Hinzufügung von Purcells Musik, die eher lose die mitunter verwirrende Handlung umspielt, wurde daraus jene Semi-Oper. Ohne Purcells Musik wäre Drydens Stück seit Jahrhunderten vergessen.

Das Regie-Duo Sven-Eric Bechtolf und Julian Crouch hat nun „King Arthur“ für die Staatsoper in einer Weise bearbeitet, die wahrscheinlich sogar die mythologisch geschulten und dramaturgisch gestählten Zuschauer des 17. Jahrhunderts überfordert hätte. Einerseits kann man Bechtolf und Crouch ja verstehen: Wir können mit diesem ganzen mythologischen Mummenschanz heute nicht mehr viel anfangen. Weil es nicht unser Mummenschanz ist, und auch, weil Drydens Stück so irre viel davon verquickt. Die Artus-Sage spielt eine Rolle, mit Merlin, Waldgeistern und der ganzen Zauberei; die nordischen Götter haben mitzureden; und am laufenden Band kommen mythologische Figuren ins Bild, Venus, Cupido und andere.

Im Grunde geht es, wie meist, um zwei Dinge: um Krieg und Liebe. König Arthur zieht nämlich in die Schlacht gegen den Sachsenkönig Oswald von Kent, der ihm unter anderem die Gunst der Prinzessin von Cornwall, der blinden Emmeline, streitig machen will. Ganz am Schluss wird Emmeline sehend gezaubert, und Angeln und Sachsen sind friedlich vereint zum herrlichen Britenreich.

Angesichts dieses großen pathetischen Durcheinanders haben Bechtolf/Crouch kühn die Flucht nach vorn angetreten. Aber wenn eine ausführliche Rahmenhandlung hinzugeschrieben, zusätzliche Ebenen eingeführt, Szenen umgestellt werden und auch noch Musik hinzufügt wird, die (zwar von Purcell, aber) gar nicht für dieses Stück geschrieben wurde, dann kann sich niemals jener Effekt einstellen, den man sich als Zuschauer vor allem wünschen würde: mal ein bisschen die Übersicht zu gewinnen. (Pausengespräch: „Also, ich kenn das Stück ja nicht, aber: Gehört das eigentlich alles dazu?“)

Kasperle und Bomber

Klar, ein paar Dinge haben wohl alle begriffen: Krieg ist schlecht. Deshalb versucht die Inszenierung, Drydens Vorlage jegliche Verherrlichung des Krieges auszutreiben. Deshalb wird mit großem Theater ein kleiner Junge eingeführt, dessen Vater im Weltkrieg gefallen ist, und deshalb musste die Requisite ein riesiges Bomberflugzeug bauen, das in alle Richtungen die Hälfte des Bühnenraums einnimmt.

Schwer zu begreifen ist aber, warum Bechtolf und Crouch sich weigern, auch nur irgendeine jener Figuren, die einst Dryden ersann, ernst zu nehmen. Es sind lächerlich verkleidete Pappkameraden, Arthur und seine Zeitgenossen, deren Kämpfe und Leidenschaften als eine Art Kasperltheater – inklusive zweier alberner Hanswurst-Conferenciers – vorgeführt werden. Das kontrastiert aufs Schärfste mit dem echten Pathos, das in der Rahmenhandlung Hans-Michael Rehberg an den Tag legt, der als Großvater bzw. Merlin fungiert. (Eine einfallslosere Rahmenhandlung als die eines vorlesenden Großvaters kann es kaum geben; doch Rehberg füllt seine Rolle mit großer Präsenz aus.)

Wenn aber das mythisch umrankte Treiben der Altvorderen so wenig ernst zu nehmen ist, wie sollen wir dann ernsthaft die Verbindung zum Antikriegsgemahne der Rahmenhandlung ziehen? Mitunter gelingen schöne Szenen, etwa wenn der Chor der liebesdurstigen Landjugend nicht von gesunden jungen Menschen, sondern von im Rollstuhl sitzenden Veteranen und ihren Krankenschwestern gegeben wird. Andererseits vermischen sich auch hier die dramatischen Ebenen wieder in fragwürdiger Weise.

Weil man als Zuschauer so viel damit zu tun hat, sich zu fragen, was dieses soll und jenes bedeutet, ist man oft in Gefahr, dem Wichtigsten zu wenig Aufmerksamkeit zu schenken: der Musik. Der Chor klingt schön, aber genau wie immer. Die Sopranistin Robin Johannsen ragt heraus unter den SolistInnen. Die Akademie für Alte Musik aber rettet den Abend. Sie musizieren ihren Purcell lebendig pulsierend, atmend, wunderschön; die sehen ja auch nicht, was auf der Bühne passiert. René Jacobs allerdings von seinem Dirigentenpult aus kann das überambitionierte Treiben dort oben kaum verborgen geblieben sein. Manchmal kann man sich ja schon fragen, wie das wohl zusammengeht: im Orchestergraben die strengen Prinzipien der historischen Aufführungspraxis zu zelebrieren, während sich auf der Bühne das Regietheater des 21. Jahrhunderts ausagiert.

Wieder am 17./19./ 21. und 22. Januar