Wochenschnack
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Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von LeserInnenbriefen vor.

Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.

„Es wird zu wenig geteilt“

Lügenpresse Anne Haeming schrieb über die Möglichkeiten des Überlebens der Medienbranche: Die Akademikerarroganz solle von Bord gehen

Journalistin auf einer Pressekonferenz Foto: Koehler/photothek

Normale Leser

betr.: „Vielleicht sind wir noch zu retten“, taz vom 7. 1. 17

Meine Kluft zur Tageszeitung hat sich bereits in den 90er Jahren gebildet. Damals habe ich noch den Tagesspiegel gelesen und hatte im Laufe der Zeit immer mehr das Gefühl, dass die Zeitung von einem Nachrichtenmagazin zu einem Magazin mit netten, breit ausgewalzten Geschichten zu Nachrichten mutiert. Das Lesen der Zeitung hat immer mehr Zeit gekostet, und das war mir irgendwann zu viel, und ich bin zur taz gewechselt. Die Themen der taz haben mich auch mehr angesprochen.

Leider muss ich inzwischen feststellen, dass auch bei der taz die Geschichten um die Nachrichten immer weitschweifiger werden. Es sind großartige Storys, die erzählt werden, und ich habe das Gefühl, dass die Autoren sich bemühen, literarisch hochwertige Texte abzuliefern, die dadurch aber länger und nicht unbedingt ausführlicher bezüglich der Nachricht werden. Als Rentner habe ich inzwischen mehr Zeit, und der hohe Zeitbedarf zum Lesen der Zeitung ist noch zu ertragen. Aber welcher Berufstätige hat dafür schon Zeit.

Fazit: Die taz wird immer mehr zu schön zu lesender Nachrichtenliteratur. Ich kann nachempfinden, dass die Autoren gern ihren Beitrag dazu leisten. Aber wollen das die Leser? Inzwischen werden selbst die veröffentlichten Leserbriefe nur noch von sehr schlauen Menschen geschrieben beziehungsweise von der Redaktion für die Veröffentlichung ausgesucht. Da fallen normale Leser wie ich wohl durchs Raster.

HANS-JOACHIM RADDANT, Berlin

Gegen die Eliten

betr.: „Vielleicht sind wir noch zu retten“, taz vom 7.1. 17

Mit der These, dass Journalismus zu einer Sache akademischer Eliten geworden ist, steht Anne Haeming nicht allein. Aber was nutzt das Runtersteigen vom Elfenbeinturm, wenn man weiter meint, vom Skandalisieren und der erwünschten Bestätigung der Thesen von der Alternativlosigkeit leben zu müssen? Woher kommen die unübersehbaren gesellschaftlichen Spaltungstendenzen? „Abgehängte“ entstehen, wenn sich selbst ernannte Eliten mittels auf die Spitze getriebener Abstraktion in der Analyse erschöpfen und den gesellschaftlichen „Rest“ mit ihrem elitären Expertenanspruch schlicht abtun. Es geht nicht um „dumpfe unbegründete Ängste“ und „Wutbürger“, nicht mal um Demokratie. Eher schon um Teilhabe, Würde und Würdigung. Wenn Sprache und das Handeln Diskriminierung brauchen, um die elitären Elfenbeintürme zu legitimieren, dann spaltet das die Gesellschaft. Die Begriffsbildung und Sprache, die sich als Expertentum ausgibt, dient zu wenig dem Ganzen und zu viel der Absetzungsbewegung und der bequemen Bewahrung der vorherrschenden – von den Medien lammbrav transportierten – Weltanschauung. Es herrscht ein Übermaß an Egoismus und ein Mangel an bescheidener Selbsterkenntnis. Es wird zu wenig geteilt. Hierin stimme ich der Autorin zu.

Hannah Arendt schreibt sinngemäß in „Ursprünge und Elemente totaler Herrschaft“, dass nicht Reichtum und Eliten selber ein Problem sind, sondern: Wenn sie keinen erkennbaren Nutzen mehr für die Allgemeinheit stiften, wendet sich diese gegen die Eliten. KAI HANSEN, Nürtingen

Nicht erreichbar

betr.: „Vielleicht sind wir noch zu retten“, taz vom 7. 1. 17

Anne Haeming und neulich auch Anne Fromm versuchen sich in Erklärungen für die Kluft zwischen der gebildeten Zunft der Journalisten und denen, die durch auch noch so soliden Journalismus nicht mehr erreichbar seien. Beide plädieren für eine Diversifizierung des journalistischen Personals als Ausweg aus dieser problematischen Situation. Anne Haeming verweist hier auf das Beispiel von Özlem Gezer als positive Ausnahme und Anne Fromm auf Marco Maurer. Erstaunlich erscheint mir, dass beide Autorinnen keinen einzigen Gedanken darauf verschwenden, wo die Texte dieser beiden Autoren erscheinen. Ich weiß nicht sicher, wer alles die Zeit und den Spiegel so liest, glaube aber zu wissen, wer diese ganz sicher nicht liest . . . Das Problem sind wohl eher die medialen Vermittlungsinstanzen als das mehr oder minder dünkelhafte Personal.

FRIEDRICH IOHN, München

Zentriert aufs Ich

betr.: „Vielleicht sind wir noch zu retten“, taz vom 7. 1. 17

Die Redaktionen welthaltiger zu besetzen, ist ein Vorschlag, dem tief sitzenden Vorwurf der „Lügenpresse“ entgegenzuwirken. Nun sollte Gleichberechtigung (der Geschlechter, Herkünfte, Überzeugungen) eher als selbstverständlich anzustrebendes Ziel denn als Mittel zum Zweck verstanden werden. Mehr noch: Die Besetzung der Redaktion und das produzierte Blatt sollten getrennt voneinander beurteilt werden. Gleiches gilt für jeden Artikel. Die Autorschaft tritt hinter den Inhalt zurück. Ansonsten ist das „Mehrere-Quellen-Prinzip“ obsolet, lässt sich die „Innenperspektive“ doch eben nicht „reproduzieren“. Anders formuliert kann eine heterosexuelle Frau natürlich über schwule Subkulturen in Chemnitz oder ein Atheist über die Hinterhofmoscheen des Ruhrgebiets berichten. Ein Uni­abschluss oder eine bürgerliche Herkunft hindern niemand daran, eine gute Reportage über Kinderarmut in Sachsen-Anhalt zu schreiben. Die Abstraktion von der eigenen Person macht journalistisches Arbeiten erst relevant. Nur so kann ein Angebot zur Deutung von Wirklichkeit produziert werden, das über sich selbst hinausweist.

Die Betonung der eigenen Person durch eine Ichperspektive auch jenseits von Kommentar- und Kolumnenspalten verschleiert den aufklärerischen Auftrag einer Zeitung. Statt eines passiv erlittenen Verlusts von Glaubwürdigkeit ist eher eine aktive Verschiebung von Verantwortung zu analysieren. Der auf das Ich zentrierte und dadurch in seiner Reichweite relativierte Ausgangspunkt des Schreibens lehnt eine gesellschaftliche Verantwortung für das Geschriebene ab oder grenzt diese zumindest stark ein. Ein Artikel, der Wirkkraft über das eigene unmittelbare Umfeld hinaus entfalten will, kommt auch ohne Hinweis auf die Identitäten des/der Autor/in aus, wenn er seine Argumentationsweise, Standpunkte und Recherchemittel offenlegt. Journalismus hat weniger mit JournalistInnen, sondern mit Inhalten zu tun.

Name und Anschrift sind der ­Redaktion bekannt

Zu bevormundend

betr.: „Vielleicht sind wir noch zu retten“, taz.de vom 30. 12. 16

Das Thema Medienkritik ist hoch spannend.

Ich hänge seit Gründung als Leser und Genossenschaftler an der taz . Zunehmend fühle ich mich als Leser aber in „pädagogischer Betreuung“, die mir sagt, wo es langgeht.

Ich suche als Leser kluge Fragen, will Pro-kontra-Diskussionen, O-Töne, Dokumente, auch Provokationen und schräge Seitenblicke – Antworten suche ich nicht! Meine Meinung will ich mir selbst bilden. Ich möchte durch Texte nicht bevormundet werden. Ich glaube, dass Journalisten ihre Leser oft unterschätzen, diese fühlen sich nicht ernst genommen – und schon ist die beklagte Kluft da.

Ich hänge weiter an der taz, weil ich an ihre Unabhängigkeit und ihre Fähigkeit zur Selbstkritik glaube. Dieser Artikel von Frau Haeming war ein Schritt in diese Richtung.

JÖRN SUND, taz.de