: Ein bisschen Jörges
Bundeskanzler Gerhard Schröder hat diesmal Recht: Die Diskussion über die Wahlberichterstattung und den Zustand des politischen Journalismus muss geführt werden – und zwar dringend
VON PETER UNFRIED
Die mediale Aufarbeitung der Bundestagswahl ist bereits in vollem Gange? Leider nein. In vollem Gange ist nur die Bewertung der Anklage Schröders, die Medien hätten ihn und Rot-Grün weghaben wollen. Die einen stimmen zu, wie der gemütliche Schauspieler Ottfried Fischer, und sprechen von einer „Verschwörung der Presse“. Auch das österreichische Magazin Profil beschwört ein „Waterloo für die führenden Meinungsmacher, die einig wie nie den Wechsel herbeizuschreiben suchten“.
Die Gemeinten sagen anderes.
Jörges (Stern) glaubt, dem Kanzler gehe es um „Revanche und Einschüchterung“, und geht sicherheitshalber gleich voll auf „Kampagneros des Kanzlers“ los. Bissinger z. B. sei Schröders Mann (ach, echt?). Leyendecker (SZ) auch. Der ruft sofort nach der Feuerwehr oder zumindest seinen Anwalt an. Dann widmet er sich Aust (Spiegel).
Aust ruft im aktuellen Heft Augstein zu Hilfe. Das ist immer gut. Des weiteren warnt er die „Zunft“ vor dem „Machtrausch“ – allerdings jenem der Regierenden. Wenn er von „journalistischen Parteigängern“ spricht, die „Verschwörungsmaterial“ zusammengetragen hätten, meint auch er die anderen. Austs Stellvertreter Steingart dementiert gegenüber der Stuttgarter Zeitung. Nein, es handele sich nicht um Kampagnenjournalismus. Bloß um die Hinwendung zur Realität der Globalisierung. So gesehen war alles richtig. Auch jene Berechnungen, die Kirchhofs Steuermodell stützten – und die von Kirchhof kamen? Die Phantasmagorie von Matussek über den angeblichen „Diskurswechsel im Kulturbetrieb“? Man hätte zumindest erwartet, dass dafür erstens zehn Reporter losgeschickt werden und die dann zweitens mehr herausfinden, als dass es einen Journalisten gibt, der die FDP für Rock ’n’ Roll hält.
Aber, gemach: Di Lorenzo (Zeit), wie immer staatstragend-besonnen, warnt vor pauschalen Beschuldigungen. Beschuldigt dann aber immerhin Diekmanns Bild einer „Parteilichkeit, die Maßstäbe setzt“. Maroldt (Tagesspiegel) deckt auf, dass ja gar nicht Schröder, sondern Merkel die Wahl wegen der Medien verloren habe. Ich selbst habe mich für eigene Fehler entschuldigt (taz vom 26. September), was mir – je nach dem – als Schwäche, Opportunismus oder Wichtigtuerei ausgelegt wird. Nur gut, dass wenigstens Ulrich (Zeit) die Ruhe selbst bleibt und sich nun unverdrossen um die Vermessung einer (von Merkel angeführten) großen Koalition kümmert.
Catilina-Muster
Dass Verschwörer am lautesten schreien, es gäbe keine Verschwörung, kennt man seit Catilina. Spätestens. Damit ist nicht gesagt, dass es eine Verschwörung gibt. Weder eine gegen Schröder. Noch eine von Schröder gegen die Medien. Aber es gibt Gesprächsbedarf. Das zeigt die allgemeine Aufgeregtheit. Umso bedauerlicher ist es daher, dass der vom Kanzleramt angeregte Kongress „Die Medien im Wahlkampf“ nicht stattfindet, sondern als Kanzlerrechtfertigungsinstrument abgelehnt wurde. Dafür brachte die bisweilen Merkel-nahe FAZ – sehr originell – den medienpolitischen Sprecher der CDU in Stellung.
„Es geht nicht um Beschuldigung“, sagt Regierungssprecher Béla Anda, „es geht um konstruktive Aufarbeitung dessen, was passiert ist.“ Er wolle „wirklich darüber debattieren, auch streiten“. Ich sagte ihm, ich sei dabei. Man muss dringend debattieren, streiten, auch über den viel diskutierten Schröder-Titel der taz namens „Raus hier, aber dalli!“.
Streit ist produktiv – und ein guter Ort, damit anzufangen, ist sicher die Redaktionskonferenz des Spiegel. Aber das reicht nicht. Sonst wird die oben angerissene Diskussion nicht mehr über das aktuelle Niveau hinauskommen („Du bist blöd.“ – „Nein, du.“).
Es gibt viel mehr zu besprechen: „Einige der wichtigsten Medienhäuser haben aufgehört, sich gegenseitig zu kritisieren“, schreibt di Lorenzo. Er weiß bestimmt, wovon er schreibt. Das eigentliche Problem, findet auch die Netzeitung, sei und bleibe „die totale Verklüngelung, Vernetzung und Verstrickung unserer so genannten Info-Elite“, nicht mit Parteien, sondern untereinander.
Sicher haben sich die Medien seit Brandts Ostpolitik in den frühen 70ern verändert. Notwendigerweise. Sicher ist es positiv, wenn junge Journalisten ideologiefreie Berichterstattung betreiben, auf der Grundlage von Fakten und nicht Lagerzugehörigkeit. Aber es gibt auch und grade bei linksliberalen, von 1968 geprägten Journalisten eine Irritation mit aus ihrer Sicht fatalen Entwicklungen, die im Einzelfall bis zu jener Verzweiflung reicht, die manche Sozialdemokraten im Angesicht der Schröder-SPD beschleicht. Und man muss es ernst nehmen, wenn erfahrene Großjournalisten wie Gunter Hofmann (Zeit) die Personalisierung und damit Trivialisierung der Wahlkampfberichterstattung bemängeln und daran erinnern, dass „Politik ein langsames und mühsames Verfahren“ sei und eben nicht „Entertainment“.
Sicher wäre für Otto Schily womöglich ein eigener Kongress nötig. Für den Christiansen- und Hahne-Journalismus sowieso. Sicher gibt es gute Gründe für die These, nach der für Politiker gute Presse „objektiv“, jede Kritik aber eine Kampagne sei. Aber: Die wahnsinnige Irritation des langjährigen Straßenkämpfers und Außenministers Joschka Fischer über die Entwicklung der linksliberalen und ehemals linksliberalen Medien zur „Villa Kunterbunt“ geht womöglich weit darüber hinaus. Auch darüber sollte man reden. Und zwar heute. Weil oder noch besser bevor morgen die nächste Sau durchs Dorf getrieben wird.
Klugscheißer-Komplott
Ein letzter Zwischenruf: Am meisten gibt mir zu denken, wie wir (fast) alle hintenrum auf den Kollegen Hans-Ulrich Jörges losgehen. Angeblich wegen inhaltlich variablen und effekthascherischen Klugscheißertums. Ist das richtig und/oder Neid und/oder die unterbewusste Verdrängung eigener oder kollektiver Fehler durch Projizierung auf ein personifiziertes Übel? Look at yourself. Du bist vermutlich nicht Deutschland. Aber vielleicht bist auch du ein bisschen Jörges?