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Archiv-Artikel

„Wowereit ist der größte Versager“

SCHEITERN Elf Jahre betreiben Adam Gusowski und Pjotr Mordel den Club der polnischen Versager – nun haben sie ein Buch über diese Zeit geschrieben. Ein Gespräch über das Bedürfnis, geliebt zu werden, und das Ende der Welt

Adam Gusowski

■ kam ebenfalls 1988 nach Berlin, allerdings im Schlepptau seiner Eltern. Laut Eigenauskunft hat er viel gelernt und wenig studiert (rechtzeitig abgebrochen).

INTERVIEW JOANNA ITZEK UND SUSANNE MESSMER

taz: Herr Gusowski, Herr Mordel, warum hat es zehn Jahre gedauert, bis Sie Ihr Buch über Ihren Club der polnischen Versager geschrieben haben?

Piotr Mordel: Die Zeit war reif. In Europa ist ein Kapitel zu Ende gegangen, eine neue Epoche fängt an.

Welche Epoche denn?

Mordel: Die Tatsache, dass Europa mal geteilt war, dass die Osteuropäer einst hinter dem Eisernen Vorhang lebten, ist heute nicht mehr so wichtig.

Ist das Interesse an polnisch-deutscher Verständigung kleiner geworden?

Mordel: Die außergewöhnlichen Jahre nach der Wende, als alles im Umbruch war, die sind vorbei. Es hat sich Normalität eingeschlichen, aber auch Gleichgültigkeit. Für uns ist das eine Herausforderung. Wir finden es nicht gut, dass das gegenseitige Interesse abgeflaut ist.

Gusowski: Es war schon eine interessante Zeit damals. Ich weine ihr trotzdem keine Träne nach. Denn das Verhältnis zwischen den Polen und den Deutschen war am Anfang schwierig.

Sind die Polen in Berlin unsichtbarer geworden?

Gusowski: Ja, aber das hat auch etwas Gutes. Ich habe den Eindruck, dass sie sich nicht assimiliert haben, sondern dass sie eingetaucht sind. Die Polen sind fähig, sich mit neuen Gegebenheiten anzufreunden, mit einer neuen Kultur offen und flexibel umzugehen. Ich begegne Polen in der Deutschen Oper, in der Volksbühne und im Konzertclub Huxleys. Sie brauchen kein polnisches Theater, keine polnische Disko. Ich fasse das positiv auf.

Mordel: Es ist hier ganz anders als in den USA. Dort gibt es polnische Gettos, die wie Freiluftmuseen funktionieren. Die Leute kleiden sich immer noch wie in den Siebzigern in Polen. Sie schotten sich ab. In Deutschland dagegen ist die Entfernung zu Polen nicht so groß.

Wirkt sich die zunehmende Unsichtbarkeit der Polen in Berlin auf Ihren Club aus: Kommen etwa weniger Leute?

Gusowski: Es kommen ganz andere Leute her. Früher waren wir ein Ort für alle, die sich für Polen interessieren, egal was sie mit Polen verbunden haben. Heute kommen Schwaben, Japaner, Spanier – Menschen, die Berlin neu entdecken und etwas anderes suchen als das, was hier in der Gegend angeboten wird. Einen Raum dazwischen, der gleichzeitig Kneipe und Wohnzimmer, Kino und Galerie ist.

Jetzt haben wir trotzdem noch nicht ganz verstanden, warum es zehn Jahre gedauert hat, dieses Buch zu schreiben …

Gusowski: Es hat zehn Jahre gedauert, bis wir von einem Verlag angesprochen wurden.

Wieso haben Sie denn keinen Verlag angesprochen?

Gusowski: Wir haben das nie so richtig kapiert, wie man das anpackt. Wir haben auch schon für das Radio und das Fernsehen gearbeitet, ohne zu wissen, wie man das überhaupt macht. All diese Geschichten, die mit dem Club zu tun haben – wir haben nie darum gekämpft, sie sind einfach zu uns gekommen. Es ist ein Teil davon, wie wir das Versagen auffassen. Wir würden uns verstellen, wenn wir einem Verlag hinterherrennen würden.

Das Versagen war unser Einstieg in die deutsche Gesellschaft. Alle Vorbehalte waren auf einmal weg. Man konnte gleich auf einer sehr vernünftigen Ebene kommunizieren

Brauchten Sie deshalb auch einen Koautor?

Gusowski: Nach sechs Monaten sehr harter Arbeit an den Texten haben wir feststellen müssen: Wir sind einfach Versager und keine Schriftsteller. Dann gab es Treffen mit dem Verlag und Lektoren, die uns erklären sollten, was szenisches Schreiben ist. Dann hatten wir noch ein halbes Jahr, um dieses szenische Schreiben umzusetzen. Weil das nicht klappte, ist Thomas Mahler dazugekommen. Er hat aus den von uns verfassten Kapiteln etwas Lesbares gemacht.

Mordel: Es war auch deswegen interessant, weil Thomas mit Polen nicht viel zu tun hat. Er hatte eine gute Außenperspektive.

Gusowski: Interessant ist auch die Auswahl unserer Texte im Buch. Manche Themen wurden vom Verlag einfach nicht angenommen. Sie wurden missverstanden.

Welche Themen denn?

Gusowski: Es gab ein Kapitel über deutsch-polnischen Humor. Über die Unterschiede. Aber anscheinend war auch diese wissenschaftliche Analyse zu unverständlich.

Waren die Deutschen etwa zu unlustig?

Gusowski: Am Anfang hat man uns wenig Vertrauen geschenkt. Manche Formulierungen wurden infrage gestellt, ich glaube auch mit dem Hintergedanken: Die können es gar nicht so gemeint haben. Die haben das einfach nur falsch aufgeschrieben.

Woher kommt dieser Erfolgsdruck in Deutschland, den Sie im Buch beschreiben?

Gusowski: Es gibt sie wirklich, die preußischen Tugenden. Die Deutschen sind tüchtig und konsequent.

Mordel: Sie haben so viel Geduld. Sie sind in der Lage, eine Stunde etwas zu justieren, damit es endlich waagerecht ist und perfekt funktioniert. Für die Polen reicht es, wenn es pi mal Daumen funktioniert.

Ist das nicht ein Klischee: Entsteht der Erfolgsdruck nicht erst durch die Migration?

Mordel: Auch das. Ich war neulich in meiner Heimatstadt Lublin. Und obwohl ich dachte, dass es nicht mehr so ist, fragte mich tatsächlich mein Onkel noch einmal, welches Auto ich besitze. Als ich ihm sagte, dass ich kein Auto habe, fand er das noch immer unvorstellbar.

Piotr Mordel

■ kam 1988 als politischer Flüchtling nach Berlin. Laut Eigenauskunft verfügt er über Führerschein Klasse 3, festes Einkommen und ist gesetzlich krankenversichert.

Gusowski: Ich habe diesen Druck zum Glück in meiner Familie nie gespürt, obwohl wir Wirtschaftsflüchtlinge waren, die ja bekanntlich am härtesten arbeiten. Aber ich kann mir vorstellen, dass es diesen Druck immer noch gibt.

Was bedeutet Erfolg für Sie?

Gusowski: Mein größter Erfolg ist, dass wir uns in 15 Jahren noch nie gestritten haben. Es ist auch ein Erfolg, dass wir nicht mehr nach geklauten Sachen gefragt werden. Es ist ein Erfolg, dass die Klischees, mit denen wir spielen, heute auch als solche wahrgenommen werden.

Mordel: Für mich ist Erfolg das Versagen. Denn durch das Versagen werden wir wahrgenommen.

Was ist das Schöne am Versagen?

Mordel: Keiner ist auf Versager neidisch. Im Kino und in der Literatur sind fast alle großen Helden Versager. Erfolg ist sexy. Versagen ist sexier.

Heißt das, dass Sie im Grunde geliebt werden wollen?

Mordel: Ja, natürlich.

Sie wollen unsichtbar sein und gleichzeitig geliebt werden. Sie wollen Versager sein und damit Erfolg haben. Ist das nicht eine schizophrene Situation?

Mordel: Das funktioniert toll! Das Versagen war unser Einstieg in die deutsche Gesellschaft. Alle Vorbehalte waren auf einmal weg. Man konnte gleich auf einer sehr vernünftigen Ebene kommunizieren.

Der Club der polnischen Versager

■ Der Club wurde von Adam Gusowski und Piotr Mordel 2001 gegründet und befindet sich heute in der Ackerstraße 168. Jeden Freitag und Samstag finden ab 20 Uhr „in der Amtssprache Deutsch und allen anderen Fremdsprachen“ deutsch-polnische Kulturveranstaltungen statt, unter anderem die „Leutnant-Show“, in der Gusowski und Mordel das Verhältnis zwischen beiden Ländern auf die Schippe nehmen.

■ Am morgigen Samstag ab 21 Uhr findet im Club der polnischen Versager die Premiere des gleichnamigen Buchs von Adam Gusowski und Piotr Mordel statt („Club der polnischen Versager“, Rowohlt Verlag 2012, 221 Seiten, 8,99 Euro). Darin beschreiben die beiden ihre Ankunft in Deutschland, ihre Erfahrungen als „Pole für alles“, ihre ersten Versuche, den Deutschen polnische Kultur zu vermitteln, die Geschichte ihres Clubs und die Bedeutung von Socken im Abfluss, von gestohlenen Fahrrädern und polnischen Schnurrbärten. (sm)

Ist also Berlin vielleicht doch gar nicht so erfolgreich, sondern Stadt der Loser, die hier seit den achtziger Jahren ihren Zufluchtsort vor der bundesdeutschen Normalität suchen. Und sich so mit Ihnen verbünden konnten?

Gusowski: Wir haben das Versagen gar nicht erfunden, das stimmt.

Was wird nun im neuen Berlin aus seinen so liebenswürdigen Versagern?

Gusowski: Momentan ist Berlin wirklich in einer schwierigen Situation. Die Politik hat sich weitgehend aus dem sozialen und kulturellen Leben ausgeklinkt. Klaus Wowereit ist der größte Versager der letzten Jahre, und er fühlt sich auch noch wohl in seiner Rolle. In den Pressekonferenzen zum Flughafendebakel benimmt er sich, wie wir uns auf der Bühne benehmen, wenn wir zwei selbstzufriedene Leutnants spielen.

Wie lange wollen Sie den Club noch machen?

Mordel: Bis die Welt untergeht, also bis zum 21. Dezember.

Gusowski: Also jetzt im Ernst: Am Anfang gab es ja sehr viele Geschichten über uns in der Presse. Und da habe ich Pjotr versprochen: Wenn eines Tages ein Artikel über uns in der Financial Times Deutschland erscheinen sollte, dann schließen wir den Laden. Und zwar sofort. Und vorletzte Woche hat die Zeitung Konkurs angemeldet. Das nenne ich Erfolg!