Wozu ein Schleier gut sein kann
Iran Nach der Absage der repräsentativen Großausstellung des Teheraner Museums für Moderne Kunst öffnet die Schau „A Heritage Transposed“ den Blick auf die unabhängige Kunstszene des Landes
von Ingo Arend
Ein gesichtsloser Herrscher im Schneidersitz auf einem Thron aus Lotusblüten: Auf den ersten Blick wirkt „Lotus“, ein Bild aus dem Jahr 2013, wie ein Remake der traditionellen Kunst aus Fernost. So filigran und friedfertig scheinen die pastellfarbenen Figuren auf der in Zeitlupe voranschreitenden Videoanimation.
Der Rückgriff auf die persische Miniaturmalerei ist tatsächlich ein Kennzeichen der Kunst von Shiva Ahamdi. Doch wer genau hinschaut, bemerkt, dass die hybriden Fabelwesen der 1975 in Teheran geborenen Künstlerin, die vor dem Tyrannen in Demutsstellung kauern, Bomben und Handgranaten in der Hand balancieren.
Zu welch ununterscheidbarer Melange sich Kunst und Politik, Krieg und Ästhetik, Gewalt und Schönheit im Iran von heute vermischt haben, ist die nachdrücklichste Botschaft der Ausstellung „A Heritage transposed“. Kaum eine der zwölf Arbeiten in dem unabhängigen Art-Space „Box-Freiraum“, die Kuratorin Anahita von Plotho zusammengetragen hat, die nicht von diesem neuralgischen Komplex imprägniert wäre.
Da gibt es zum Beispiel die Collage „Spectral Days“ von Setareh Shabazi. Auf ihnen hat die in Teheran und Berlin lebende Künstlerin, Jahrgang 1978, fotografische Erinnerungsfetzen ihrer Kindheit so mit Bildern aus der Geschichte ihrer Heimat überblendet, dass sie wie Palimpseste aus individuellem und kollektivem Schicksal wirken. Oder man schaut auf die bunten Collagen Ramin Haerizadehs, auf denen Mullahfiguren neben dem Tennis spielenden einstigen Schah stehen. Der 1975 in Teheran geborene Künstler, der heute in Dubai lebt, befragt die iranische Geschichte, in dem er historische Motive der persischen Kunst am Bildschirm verfremdet und als großformatige Fotos wieder ausdruckt.
Die kleine, hochpolitische, aber immer ästhetisch anspruchsvolle Ausstellung sollte eigentlich die Großausstellung legendärer Schlüsselwerke aus der Sammlung des Teheraner Museums für Moderne Kunst in der Berliner Gemäldegalerie ergänzen, das einst Kaiserin Farah Diba errichten ließ (taz vom 29. 11. 2016).
Im letzten Moment versagte Staatspräsident Rohani der Schau seine Unterschrift. Daraufhin sagte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz den jahrelang geplanten Coup endgültig ab. Es ist nicht das schlechteste Ergebnis dieses Debakels, dass nun „A Heritage Transposed“ zum Nukleus des intendierten Kulturdialogs Deutschland-Iran avanciert ist.
Millimeterweise Ausdehnung
Denn die sehenswerte Schau öffnet den Blick nicht auf Jackson Pollock und Roy Lichtenstein, sondern auf die junge, kritische Szene im Iran, die die Grenzen des Erlaubten millimeterweise ausdehnt. Dass in dem Land keineswegs alle in Angst vor den Mullahs erstarrt sind und nur noch Koranständer schnitzen, zeigt beispielsweise Anahita Razmis Arbeit „How to use a scarf in case of an earthquake“. Das knapp fünfminütige Schwarzweißvideo von 2004 entstand als Reaktion auf das große Erdbeben im iranischen Bam ein Jahr zuvor. Wie eine Stewardess die Sicherheitshinweise im Flugzeug vorführt, so performt darin eine junge Frau mit sarkastischem Unterton, wie man einen Schleier verwenden kann: als Schutz vor herabfallenden Gesteinsbrocken, als Taschentuch oder Einkaufstasche.
Wie sehr die westliche Perspektive auf den Iran noch immer von Farah Dibas Figur gebannt ist, zeigt etwa Robert Wilsons Videoporträt „Empress“ (2006). Minutenlang bewegt sich deren Hand vor ihrer regungslosen Silhouette von links nach rechts wie bei einer Gliederpuppe. Vereinzelt hört man Schüsse in dem von den deutschen Krautrockern Popol Vuh musikalisch unterlegten Werk. Eine minimalistisch-ästhetizistische Hommage an den Schmerz und eine Ikone des Mondänen. Die ehemalige Monarchin, die heute in Paris im Exil lebt, wird ihre angekündigte Berlin-Reise nun wieder absagen müssen.
Nur scheinbar arbeiten die in der Ausstellung gezeigten Künstler allein die Widersprüche im eigenen Land auf. „Engelab“ heißt die Arbeit des 1982 in Teheran geborenen, heute in Berlin lebenden Azin Feizabadi. Der Künstler und Filmemacher hat einen Stuhl aus dem ehemaligen Baharestan-Parlamentsgebäude im Süden Teherans nachbilden lassen, das seit der konstitutionellen Revolution von 1905 bis 1907 als Sitz des iranischen Parlaments diente und heute ein Museum ist. Die Einzelteile des Stuhls bilden ein Wort mit brisanter Doppelbedeutung. Engelab heißt im Persischen so viel wie „Revolution“, im Arabischen bezeichnet es dagegen den „Coup d’etat“. Und das ewige Wechselbad politischer Gefühle zwischen Revolution und Staatsstreich hat ja inzwischen auch den Westen erreicht.
A Heritage Transposed. Box-Freiraum. Boxhagener Str. 93–96, Mi.–Sa. 14–18 Uhr, bis zum 25. 2. 2017