Berliner Szenen: Jahresendabrechnung
Ein Linsengericht
Ein bisschen hab ich ja schon Angst vorm Ende des Jahres. Ich hab mir nämlich was vorgenommen: Nichts, aber auch gar nichts, das ich nicht mag, kommt mit nach 2017. Und weil das eher unmöglich ist – ich denke an Katzenklosäubern und Steuererklärung – konzentrier ich mich auf das, was ich unter Kontrolle hab: Kühlschrank und mein Vorratsregal.
Letztes Jahr hat das prima geklappt. War nur ein bisschen viel auf einmal, was ich da essen musste, ganz schnell, vor Mitternacht: Grünkohl im Glas, Bohnen in Soße und dann noch das Zeugs mit dem Zuckerguss. Das war das Schlimmste, aber ich hab’s überlebt, und danach, als es weg war, hab ich mich super gefühlt. Nur hatte letztes Jahr meine Freundin nicht schon zu mir geschleppt, was noch bei ihr gelagert war, von damals, als wir ’ne Wohnung teilten.
Krass, denke ich, und reihe das Zeugs vor mir auf, Bohnen und Linsen als Erstes, ich ordne alles nach Haltbarkeitsdatum: 2016, dann 2015, dreimal 2014 und schließlich gar nicht mehr lesbar. Doch Bohnen und Linsen halten sich ewig, da bin ich mir sicher, egal ob grün (2016), weiß (klein, 2015), weiß (groß, 2014), rot, rot (auch 2014) und schwarz (gar nicht mehr lesbar). Nur wie koche ich die Teile? Die Etiketten helfen nicht weiter, denn als ich die Verschlussklebebänder abreiße, reißt es die gleich mit. Nur noch Fetzen davon sind zu lesen, zum Beispiel „30 min“. 30 Minuten was? Einweichen? Kochen? Anbraten in Butter? Mir war so, als mache man das, mit den Linsen, den grünen. Oder waren’s die roten?
Ich grüble, grüble so lange, dass die 30 Minuten rum sind auf einmal. Als Ausgleich beschließe ich: Ab ins Wasser, zackig, alles zusammen, wird schon, bestimmt! Und dann rühr ich im Topf und freue mich ganz doll – nicht unbedingt auf den Inhalt, aber auf 2017, so ganz ohne altes Zeugs. Joey Juschka
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