„Bush verrät seine loyalsten Unterstützer“

Die Wahl des US-Präsidenten für den freien Richterposten im Obersten Gerichtshof enttäuscht die Konservativen

BERLIN taz ■ „Präsident Bush könnte als ein Mann in die Geschichte eingehen, der seine loyalsten Unterstützer verraten hat“, schrieb gestern ein Leser auf der Online-Kommentarseite der konservativen Washington Times. Er ist nicht der Einzige, der die Nominierung von Harriet Miers für den Obersten Gerichtshof kritisierte: Die meisten christlich-konservativen Aktivisten, die George W. Bush 2004 unterstützt hatten, äußerten sich verärgert über seine Entscheidung, den durch den Rücktritt der Richterin Sandra O’Connor frei werdenden Posten im wichtigsten Gerichtshof des Landes mit seiner langjährigen Vertrauten, Anwältin und schließlich obersten Rechtsberaterin Harriet Miers zu besetzen.

Viele Konservative hatten lange daraufhin gearbeitet, eine Vakanz im Gerichtshof mit einem klar konservativen Juristen zu besetzen, der Grundsatzurteile etwa im Abtreibungsrecht zurückdrehen würde. „Diese Nominierung ist eine verpasste Chance“, kommentierte nun die konservative National Review.

Miers, die noch nie als Richterin tätig war, gilt sowohl Konservativen als auch Demokraten als „Tarnkappenkandidatin“. Die 60-jährige Texanerin aus Dallas hat eine lange Karriere als Anwältin hinter sich, tauchte mehrfach in Magazinlisten der 100 mächtigsten US-Anwälte auf. Seit den frühen 90er-Jahren ist sie Bush eng verbunden. Kurz nach seinem Amtsantritt im Januar 2001 folgte sie ihm ins Weiße Haus, wurde 2003 Vizerechtsberaterin und vor acht Monaten seine Oberste Rechtsberaterin.

Wieder einmal bediente sich Bush also, wie die New York Times lakonisch feststellt, für eine Topnominierung aus dem engsten Kreis seiner Vertrauten, scheinbar ohne Rücksicht auf die Interessen und Ansichten außerhalb des Weißen Hauses. Aber nicht nur Konservative vermuten, Bush sei es vor allem darum gegangen, einen langen Bestätigungskampf mit dem Kongress zu vermeiden, um nicht weiter in die Defensive zu geraten.

In diese versucht ihn nun aber seine eigene konservative Klientel zu drängen. Der rechte Radiomoderator Rush Limbaugh etwa bezeichnete die Entscheidung als „Zeichen von Schwäche“ und beschuldigte Bush des Appeasements gegenüber der Linken: „Ich komme nicht umhin zu denken, dass die Entscheidung anders ausgefallen wäre, wenn sich das Weiße Haus nicht wegen Hurrikan ‚Katrina‘ und Irak und den Umfragewerten so unter Druck gefühlt hätte.“ Die Enttäuschung der Konservativen sitzt tief. BERND PICKERT

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