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Archiv-Artikel

Warum wird nicht immer gemalt?

1.000 Bilder auf 900 Quadratmetern: Heute eröffnet in den leer stehenden Weiten des Postamt 5 die „Stadtbilder“-Ausstellung des Quartier e.V. – die Frucht eines langen, kreativen Sommers. Dessen Motto: erkunden, skizzieren, Farben mischen

In sechs Bremer Stadtteilen entstand im Lauf des Sommers eine „Bilderstadt“: Sowohl in festen Gruppen als auch in offenen Werkstätten arbeiteten Kinder und Jugendliche – Fünfjährige genauso wie OberstufenschülerInnen – an ihren persönlichen „Stadtbildern“. In Tenever wurde auch eine Altengruppe ins Atelier-Zelt integriert. Nach örtlichen Werkschauen sind die 1.000 entstandenen klein- und großformatigen Werke jetzt im Postamt 5 vereint. Dessen alte Paketstapelhalle misst 900 Quadratmeter, „aber wir hätten auch die doppelte Fläche brauchen können“, sagt Organisatorin Kerstin Holst vom Quartier e.V.

In der Tat breitet sich eine beeindruckende Bilderfülle aus, die geschickt zu „Stadtteil-Straßen“ gehängt ist. Wichtiger als die Exponate war freilich die Malerfahrung selbst: Wie viele Grüntöne etwa entstehen aus Blau und Gelb? Die TeilnehmerInnen konnten quadratmeterweise mit Farbmixturen experimentieren. Auch bei der heutigen Eröffnung soll munter gemischt werden – durchaus ergebnisorientiert: Zur Auswahl stehen 50 Spezialtöne, darunter „Milkywayweiß“, „Kackbraun“ und „Rotzgrün“. Nicht zu vergessen Apfel, Gras, Dschungel- und Laubfroschgrün.

Das Entscheidende bei der sommerlichen „Bilderstadt“: Es wurde nicht irgendwie drauf losgemalt, sondern in der Atmosphäre großer, temporär aufgeschlagener Atleliers. Unter Anleitung von insgesamt 30 professionellen KünstlerInnen sind die TeilnehmerInnen auf Erkundungstour gegangen, haben skizziert, Leinwände aufgespannt und sogar die Farben selbst gemischt. Echtes Arbeitsambiete entsteht eben erst, wenn man mal Ei, Terpentin, Leinöl, Harz und Pigmente zu einer Eitempera verrührt hat und alles entsprechend riecht.

In Hemelingen haben die TeilnehmerInnen mit Grafitstiften Oberflächenstrukturen gesammelt, abgepaust von Wänden, Straßenpflaster und Kanaldeckeln. Die Kattenturmer fotografieren und collagieren ihre Häuser, die Neustädter Kinder waren offenbar vor allem von der Aufgabenstellung „Keller“ inspiriert. Dessen Faszination setzt sich bis in die gern besonders schwarz gemalte Spinnenpopulation fort.

Oft haben zwei Kinder zusammen ein Bild entworfen, also ihre Wohnvorstellungen miteinander abgestimmt. Sabrina und Jennifer, Drittklässlerinnen aus Arsten Südwest, richten sich eher spartanisch ein, Stilrichtung Neues Wohnen. Viele andere integrieren einen Swimming Pool in ihre Wohnungen, ganz wichtig sind offenbar auch Gästezimmer – der Rekord liegt bei acht Besucherbetten. Haben die Viertelkinder andere Wohnvorstellungen als der Arstener Nachwuchs? „Man merkt schon, dass dort jeder sein eigenes Reihenhäuschen hat“, meint Kerstin Holst. Viel wichtiger aber sei: Auch Kinder, deren Lehrer äußerst skeptisch waren, hätten sich unerwartet lange auf das Geschehen konzentriert.

„Am Schluss konnten sie gar nicht verstehen, dass zum Beispiel in der Alten Hemelinger Post jetzt nicht immer gemalt wird“, erzählt Andrea Siamis von der Projektleitung. Beim Ende der Kattenturmer Werkstatt hätten die Mädchen sogar geweint. Siamis’ Schlussfolgerung: „Eigentlich müsste jedes Kind in seinem Leben einen Atelierplatz haben, wo es immer wieder hin kann.“ Henning Bleyl

Bis Sonntag im Postamt 5, An der Weide/Hauptbahnhof, 3. Etage. Öffnungszeiten: Donnerstag von 15 bis 18 Uhr, Fr–So zwischen 10 und 18 Uhr. Die Eröffnung findet heute um 14.30 Uhr statt