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Kurvenreiche Umstülpungskunst

Choreografie Vom Labor auf die Bühne: Die Tänzerin Isabelle Schad präsentiert heute im HAU 2 noch einmal „Pieces and Elements“, den zweiten Teil ihrer „Kollektivkörper“-Trilogie

von Astrid Kaminski

Niemandem wurde die Brust abgenommen, niemandem läuft das Menstruationsblut am Bein herunter, niemand leidet an Verwachsungen, sichtbaren Behinderungen, Fettwülsten oder unterliegt sonstig deregulierten, unkontrollierten oder nicht kontrollierbaren Körpererscheinungen. Das ist zunächst festzuhalten, wenn Isabelle Schad nun mit „Pieces and Elements“ den zweiten Teil ihrer Trilogie über „Kollektivkörper“ zeigt.

Sosehr sie betont, „holistisch“ zu arbeiten, so sehr bezieht sie sich damit auf einen klassisch (wenn auch nicht klassisch ausgebildeten) ­repräsentativen Tänzerkörper: jung, dynamisch, weiß und mit physisch eindeutiger – wenn auch nicht betonter – Geschlechtlichkeit. Die nackten Gliedmaßen der zwölf Tänzer*innen treten in Schwarzlichtästhetik als gold-weiß hervor, werden die schwarzen T-Shirts und Hosen abgestreift, erscheinen auch die gleichmäßig proportionierten Torsi in demselben Licht.

Dass dieser Aspekt ihrer Arbeit in „Pieces and Elements“ in den Vordergrund rückt, liegt auch an der Programmation des HAU Hebbel am Ufer unter Tanzkurator Ricardo Carmona, der parallel zu Schad die aus einer Minderheitenpolitik heraus gedachte Performance „Minor Matters“ von Ligia Lewis zeigt. Gleichzeitig liegt auch noch Mia Habibs „Tanz im August“-Arbeit „A Song To …“, die auf der gleichen Bühne gezeigt wurde, als Folie im Raum. Habib ließ ein Kollektiv aus 50 nackten Körpern aufmarschieren, das sie in einer Choreografie aus Schwarmbewegungen, Kettenreaktionen, Verbindungs- und Vereinzelungsimpulsen präsentierte. Die Individualkörper innerhalb der Körpermasse waren von biologischer und sozialer Diversität gekennzeichnet: Sie repräsentierten unterschiedliche Geschlechtlichkeiten, Alter, Hautfarben und körperliche Erhaltungsmerkmale – Falten, Glatzen, gefährlich geschwollene Hoden inklusive.

Sklavische Fixierung

Muss ein Körper auf der Bühne seine Körperlichkeit immer auch politisch repräsentieren? In der zeitgenössischen Tanz-Performance hat sich das körperpolitische Selbstverständnis weitestgehend durchgesetzt. Auch in dieser Beziehung ist der Tanz nicht vom Tänzer zu trennen. Paradoxerweise verlangt eine solche Politisierung jedoch die geradezu sklavische Fixierung auf bestimmte, im gesellschaftlichen Diskurs gerade dominante Aspekte äußerer Körperlichkeit als Referenzgröße. Wenn Isabelle Schad ihren Kollektivkörper als homogen präsentiert, dann ist das vielleicht weder ein Bruch mit aktuellen Repräsentationsfloskeln noch eine komplett unbewusste Unterlaufung davon. Ihr Kollektivkörper ist als Produkt weniger ein Abbild äußerer politischer Realitäten als ein Laborerzeugnis unter stabilen Bedingungen.

Seit einigen Jahren hat die Choreografin sich auf das Zusammenspiel von Körper, Materie und Raum als energetische Prinzipien konzentriert. Während sie in den „Der Bau“ übertitelten Arbeiten noch die konkrete Anverwandlung von Körper und Materie probte, konzentriert sie sich für ihre Trilogie nun ganz auf die körpereigene Materie und damit auf Prozesse wie Fließ- und Gelenkbewegungen, Toni, Texturen, Dynamiken und Gegendynamiken von Organfunktionen und Energieflüssen.

Die unter einem bestimmten Fokus jeweils einzeln erzeugten Bewegungsmuster greifen alsbald ineinander, vermischen sich zu kanonischen Gruppenbewegungen, die visuell ornamentale Züge annehmen, aber – in diesem zweiten Trilogie-Teil – nie zu einer abgeschlossenen Form gerinnen. Vor der Formvollendung setzt bereits die Metamorphose wieder ein.

Die äußere Schläfrigkeit geht mit einer enormen inneren Bewegtheit einher

Wem irgendwo im Hintergrund Gilles Deleuzes „Die Falte“ dämmert, kann wahrscheinlich nicht anders, als nachzulesen und Schads Entfaltungsprinzipien im Hinblick auf eine (auf Leibniz bezogene) „komprimierende Kraft“ zu sehen, die „jedes Stück Materie auf die umliegenden bezieht, auf die umgebenden Teile, die den in Betracht stehenden Körper umfließen, durchdringen und dessen Kurve bestimmen“.

Die Bewegungen, die der mal flächigen, mal mehrdimensionalen, oft auf lemniskatischen Prinzipien basierenden Körper-Kurvenlandschaft zugrunde liegen, wurden aus somatischen Methoden wie Body-Mind-Centering, Aikido oder Shiatsu entwickelt – das lässt sich teils sehen, aber auch in Interviews mit Schad nachlesen. Allesamt Techniken, die zur Harmonisierung des Körpers dienen. Zusammen mit der indirekt wirkenden Klangkulisse aus Reiben, Rauschen, Plätschern, Grummeln, Dröhnen ergibt sich daraus eine meditative (und, nach so manchem Atemgeräusch im Zuschauersaal zu urteilen, sogar einschläfernde) Monotonie, Akzente sind allenfalls wechselnde Richtungsvektoren.

Das Erstaunliche aber ist, dass die äußere Schläfrigkeit mit einer enormen inneren Bewegtheit einhergeht, bei mir teilweise bis zum Magenumdrehen. Als hätten das unbewusste Innen und das wache Außen die Rollen getauscht.

Heute, 19 Uhr, HAU 2

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