Das Ding, das kommt
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Den Fotoapparat hatte Arno Schmidt immer dabei. Die Bedeutung von Bildern für das Leben des Literaten zeigt nun erstmals auch eine umfassende Bildbiografie Foto: Archiv

Tablet voller Snapshots

Fast menschenleer war sie, die „ihm gemäße Landschaft“ rund um Bargfeld in der Lüneburger Heide – niemand konnte dort die von Arno Schmidt so verzweifelt gesuchte „absolute Stille“ stören: Gerade mal „eine Poststelle beim Gastwirt, ein weiteres Telefon beim Kaufmann“ gab’s, schrieb der radikale Eigenbrötler, der sich so erfolgreich als mürrisch, unsozial und abweisend inszenierte, erleichtert auf, nachdem er seinen Weltfluchtort das erste Mal in Augenschein genommen hatte.

Mit sozialen Netzwerken hätte der verschrobene Popstar der Nachkriegsliteratur also absolut nichts am Hut gehabt. Andererseits: Ein Satzsplitter wie „Mein Leben?!: (…) ein Tablett voll glitzernder snapshots“ – den schrieb Arno Schmidt 1953, 57 Jahre vor Instagram und iPad, in seinen Kurzroman „Aus dem Leben eines Fauns“ – den hätte man heute wohl für eine passende Beschreibung der mobilen Selfiewelt gehalten. Wie viele Likes hätte Arno damit bekommen!

Mit der Kamera jedenfalls war Arno Schmidt schon in den 1930ern dauernd unterwegs, verlor sie irgendwann, kaufte sich vom ersten Literaturpreis-Geld 1950 sofort eine neue, eine Rollfilmkamera der Marke „Bonafix“, und knipste damit neusachlich seinen Alltag und seine Wohnorte, die Landschaft und Porträts. Zum 50. Geburtstag gab’s dann eine zweiäugige Spiegelreflex-Kamera, mit der Schmidt einen umfassenden Bilderkatalog der Schmidtlandschaft anfertigte.

Bände mit Schmidts Fotos gibt es natürlich längst, auch einen Essayband zu seiner Erinnerungsfotografie und der Liaison zwischen Literatur und Fotografie. Jetzt aber hat die Österreicherin Fanny Esterházy Schmidts Einsicht in die Bedeutung der Bilder für sein Leben noch einmal zum Anlass genommen, tief in den Archiven zu graben und die Schriftstellerexistenz als umfassende „Bildbiographie“ zu erzählen.

Zu sehen sind in dem wunderschön gestalteten Band etliche Fotos, die noch nie zu sehen waren, aber auch Zeichnungen, Manuskripte, Notizen, Briefe und Zeitungsartikel, die Schmidts Leben in Stationen erzählen und Verblüffendes zutage fördern: von der Kindheit in Hamburg über die Jugend in Schlesien, die Kriegszeit und das Nachkriegselend, über all die Wohnortwechsel bis hin zum Rettungsort Bargfeld. Und siehe da: Ein ganz neues Bild hat man nach dem Anschauen dieses Snapshot-Tabletts vom knipsenden Literaten. MATT

„Arno Schmidt. Eine Bildbiographie“, Suhrkamp 2016, 460 S., 68 Euro

Buchpräsentation mit Herausgeberin Fanny Esterházy, Buchgestalter Friedrich Forssman, Joachim Kersten, Bernd Rauschenbach und Jan Philipp Reemtsma: Di, 29. 11., 19.30 Uhr, Literaturhaus Hamburg