Kirche beansprucht Deutungshoheit

Der neue Galen-Film des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe ruft kirchennahe Kritiker auf den Plan: Der legendäre Bischof werde zu Unrecht als Amtidemokrat und Kriegsbefürworter dargestellt. Der Verband weist Vorwürfe zurück

MÜNSTER taz ■ Clemens August von Galen polarisiert noch immer. Das zeigen die vehemente Kritik gegen die neue Filmdokumentation des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL) „Nicht Lob noch Furcht“, benannt nach Galens Bischofsmotto. So sieht eine Gruppe um Joachim Kuropka, Professor für Geschichte in Vechta, schwere handwerkliche Mängel, unwahre und aus dem Kontext gerissene Behauptungen. Kuropka ist Mitgründer des Vereins „Freunde und Förderer der katholischen Akademie und Heimvolkshochschule Kardinal von Galen“ in Cloppenburg.

Als „facettenreiche historisch-kritische Würdigung“ kündigte Markus Köster, Leiter des Landesmedienzentrums, den vom Fernsehjournalisten Markus Schröder gedrehten Film an, der bei „aller Hochschätzung“ keine “Heiligenlegende“ sei und auch Seiten an Galens Weltanschauung zeige, „die heute befremden“. Es gehe Schröder darum, „den ganzen Galen zu zeigen“, was bei einer so „komplexen, schwierigen Persönlichkeit“ in einer 35-minütigen Doku nicht einfach sei. Er hat dazu bisher unveröffentlichtes Filmmaterial ausfindig gemacht. Dies in enger Kooperation mit dem Bistumsarchiv, das aber Wert darauf legt, nicht Auftraggeber zu sein.

Hatte das Bistum den Film anfangs eher noch wohlwollend beurteilt, aber moniert, Galen, der „nur aus seiner Zeit heraus“ zu verstehen sei, werde zu Unrecht als Antidemokrat und Kriegsbefürworter dargestellt, verweist Pressesprecher Hagemann nun auf den „führenden Galenexperten“ Kuropka. Der kritisiert besonders scharf, dass zum Beweis für Galens Zustimmung zum Überfalls auf die Sowjetunion aus einem Hirtenwort aller Bischöfe gegen den Bolschwismus von 1936 zitiert werde. Und das noch verkürzt. „Ein Zeichen, dass man nichts in der Hand hat“. Es sei „unverantwortlich“, wenn „eine öffentliche Einrichtung wie der LWL so etwas verbreitet“, sagt Kuropka zur taz.

Es handele sich wirklich um einen rasch zu korrigierenden Fehler, so Markus Köster. Der sei um so ärgerlicher, weil für die inhaltliche Aussage „nicht relevant“. Werde doch Galens Kriegsbejahung im Hirtenbrief von 1941 überdeutlich. Auch den lässt Kuropka nicht gelten. „Sie müssen lesen, was die Gestapo dazu schreibt.“ Die hatte Galens „Ja“ zum Krieg in der Tat als unglaubwürdig bezeichnet – was aber nichts über Galens eigene Einstellung sagt. Köster spricht von einer „Kampagne“ um die „Deutungshoheit“.

Lange, so der Historiker Winfried Süß, seien bezüglich Galen von Apologeten wie „Bilderstürmern“ gleichermaßen jeweils bestimmte Punkte herausgepickt worden. Solch „geschichtspolitischer Gebrauch“ sei illegitim und stehe einem seriösen Disput entgegen. Sein Borkener Kollege Norbert Fasse bedauert das Fehlen eines Basiskonsenses. Ein produktiver Diskurs scheitere an dominanten kirchennahen Historikern wie Kuropka, der eine Historisierung Galens jenseits der Monumentalisierung unter Ideologieverdacht stelle.

MARCUS TERMEER