: Das Gesetz des Geiers
MILITANTES KINO Für einen seiner Filme, die René Vautier in den französischen Kolonien machte, musste der Regisseur ins Gefängnis. Eine Werkschau im Zeughaus zeigt ihn als avantgardistischen Dokumentaristen
VON EKKEHARD KNÖRER
Wie er mehrfach Filmrollen an Zensur und Aufsichtsbehörden vorbeischmuggeln musste, erzählt René Vautier in seinen Erinnerungen mit dem Titel „Caméra citoyenne“. Einmal gelang es, indem er die Zelluloidrollen seines Films ans Ende von Pornofilmrollen klebte – die waren zwar offiziell auch verboten, die Kontrolleure drückten aber ein Auge zu; ein anderes Mal wickelte er sich den Film um den Oberkörper auf einer Zugfahrt nach Warschau, die Rollen waren am Ende schweißgetränkt und auf seine Taille gerutscht, aber noch brauchbar; und einmal entwendete er der Behörde seinen beschlagnahmten Film unter der Nase weg, indem er sein belichtetes Material in einem unbeobachteten Moment gegen unbelichtetes tauschte.
Die Bilder, die René Vautier machte, waren von Seiten der französischen Behörden alles andere als erwünscht. Das begann schon mit seinem ersten Film, „Afrique 50“. Als ganz junger Mann war der 1928 geborene Vautier im offiziellen Auftrag des Volksbildungsverbands nach Französisch-Westafrika gereist. Man wünschte sich ein Werk, das das Leben der Schwarzen in den Kolonien darstellte. Da waren sie allerdings an den Falschen geraten. Vautier war gerade mal einundzwanzig, hatte an der Pariser Filmhochschule studiert, war als Jugendlicher zuvor im Widerstand gegen das Pétain-Frankreich und die deutschen Besatzer tätig gewesen und mit sechzehn von de Gaulle persönlich mit einem Orden ausgezeichnet worden. Was er dann wenige Jahre später in Afrika sah und erlebte, musste ihn heftig empören: die Franzosen als koloniale Ausbeuter und Unterdrücker, denen das Leben eines Schwarzen nichts galt.
Er berichtet von der Raffgier der französischen Unternehmen, deren Vertreter sich nichts dabei denken, wenn ein Arbeiter beim Entladen eines Schiffes im Wasser von Krokodilen verspeist wird – es gibt ja genug andere, die an seine Stelle treten können. Er berichtet von Strafaktionen, bei denen Soldaten ganze Dörfer anzünden und deren Bewohner kaltblütig erschießen. Er zeigt ein Bild des Lebens in den Kolonien, vor dem man in Frankreich die Augen ganz fest verschloss: „Verbrannte Körper, massakrierte Einwohner, das dahingemetzelte Vieh verwest in der Sonne. Das ist nicht das offizielle Bild der Kolonialisierung. Die Kolonialisierung, hier wie überall, gehorcht dem Gesetz des Geiers.“ Das erklärt Vautier im Kommentar aus dem Off, dabei sind Aufnahmen von Geiern zu sehen.
In Afrika erreichte ihn das Verbot der Fortsetzung des Drehs, in Frankreich distanzierte sich sein Auftraggeber auf der Stelle. Vautier montierte gegen alle Widerstände seinen Film und bekam ein Jahr Gefängnis dafür. Doch es entstand ein eindrucksvolles Werk agitatorischer Kunst, auf der Tonspur mit unaufhörlicher Perkussion unterlegt, die zu Bild und Voiceover noch eine an den Rand des Enervierenden reichende Dringlichkeit fügt. Das Ungemütliche in Inhalt und Form ist ein Wesenszug von Vautiers Filmen, die ästhetisch oft der Avantgarde nahestehen. Großartig ist der Kurzfilm „Le glas – Die Totenglocke“ von 1964, in dem es um ein Todesurteil gegen drei Rebellen in der britischen Kolonie Rhodesien geht. König Elisabeth hat sie begnadigt, der Regierungschef hängt sie trotzdem. Der Film ist ein an manche frühe Werke von Alain Resnais erinnerndes Requiem, eine Anklage als Abgesang, in der die Worte „Sie werden gehängt“ als schrecklicher Refrain wiederkehren.
Vautiers Werk ist umfangreich und vielgestaltig und unübersichtlich, nicht zuletzt deshalb, weil viele Projekte, an denen er sich beteiligte, in kollektiver Arbeit entstanden. Als Dissident, der er durch Jahrzehnte blieb, suchte er sich Verbündete, wo er sie fand. So trifft man in seinem Oeuvre auch ein Werk wie „Flammendes Algerien“ (1958) an, das in Kooperation mit dem Defa-Dokumentarfilmstudio fertiggestellt wurde und den Kampf der algerischen Befreiungsarmee aus nächster Nähe dokumentiert. Vautier hat auch Spielfilme gedreht, wenngleich sie sich an der Grenze zum Dokumentarischen oder zum Avantgardistischen bewegen, wie etwa „Les Trois Cousins“ (1970), der von drei Algeriern erzählt, die in Frankreich ihr Glück suchen und in den Slums von Paris elend sterben. Die im Zeughaus laufende Werkschau „Ohne Genehmigung“ stellt die Filme Vautiers in den Kontext des internationalen Kinos von Widerstand und Befreiung. Da gehören sie hin – aber ins Umfeld der avantgardistischen Linken, also von Meistern wie Joris Ivens oder Chris Marker, gehören sie auch.
■ Die Werkschau „Ohne Genehmigung. Die Filme von René Vautier im Kontext von Cinéma Militant, Internationalismus und anti-kolonialen Kämpfen“ im Zeughauskino beginnt am 5. Dezember mit drei kurzen Filmen, moderiert von Sebastian Bodirsky und Madeleine Bernstorff