: Aids in Hamburg auf dem Vormarsch
Safer Sex ist out: Alarmierender Anstieg an HIV-Neuinfektionen in Hamburg. Schwule Männer besonders betroffen. CDU-Senat sieht „keinen Handlungsbedarf“. GAL spricht von gefährlicher „Verharmlosung“ und fordert Sofortprogramm
Von Marco Carini
Die Zahlen sind alarmierend: Nach einer Studie des Berliner Robert-Koch-Instituts stieg die Zahl der mit dem HI-Virus infizierten Personen in der ersten Hälfte diese Jahres bundesweit im Vergleich zum Vorjahr um rund 20 Prozent an. Hält der Trend an, droht 2005 die höchste Zahl an Neuinfektionen, die es je gegeben hat. Besonders betroffen: die Gruppe der homo- und bisexuellen Männer.
In Hamburg wurden zwischen Juli 2004 und Juni 2005 sogar 166 Neuinfektionen bekannt – der traurige Rekord des Jahres 2003, als 180 Neuinfektionen in der Hansestadt registriert wurden, droht übertroffen zu werden. Genau die Hälfte der registrierten Ansteckungen betrifft dabei Männer, die mit anderen Männern Sex haben. Und auch die Zahl der ausgebrochenen Aids-Krankheiten war im vergangenen Jahr in Hamburg mit 138 Fällen so hoch wie seit 1997 nicht mehr.
Hauptgrund für die Zunahme der Infektionen ist, da sind sich alle Fachleute einig, dass sich immer weniger Menschen beim Sex durch Kondome schützen. „Das Risiko-Bewusstsein sinkt“, ahnt der SPD-Gesundheitsexperte Lutz Kretschmann-Johannsen. Schuld daran ist für den Abgeordneten und seinen GAL-Kollegen Farid Müller in Hamburg auch der Senat.
Die „drastischen Kürzungen bei der Prävention“ – 2002 wurden hier zwischen 70.000 und 80.000, im Doppel-Haushalt 2005/2006 noch einmal 119.000 Euro eingespart – hätten zu der tödlichen Entwicklung beigetragen. Müller fordert die Landesregierung deshalb auf, ihren „Kurs sofort zu ändern“ und „unverzüglich ein Sofortprogramm zur Bekämpfung von Aids aufzulegen“. Der Einspareffekt werde „durch die stark steigenden Kosten bei der Behandlung von Neuinfizierten um ein Vielfaches übertroffen“, warnt Müller und ergänzt: „Selten war Sparen so kurzsichtig und gefährlich.“
Die Gesundheitsbehörde hingegen sieht trotz der Infektionszunahme „keinen Handlungsbedarf“, wie ihr Sprecher Hartmut Stienen betont. Weder sei eine spezielle Aufklärungskampagne der Stadt noch eine Rücknahme der Kürzungen für an der Aids-Prävention beteiligten Organisationen wie Hein & Fiete, das Magnus-Hirschfeld-Centrum und die Aids-Hilfe gedacht.
Stienen verweist darauf, dass „wir bundesweit eine einheitliche Entwicklung haben“, die steigenden Hamburger Zahlen also „nicht dem Senat angelastet werden“ könnten. Zudem stehe Hamburg bei der „Inzidenz“ – der Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 EinwohnerInnen – hinter Städten wie Berlin, München und selbst Karlsruhe „nur an sechster Stelle“, spielt Stienen das Problem herunter.
Für Müller sind „das groteske Zahlenspiele“, mit denen sich „der Senat nicht aus der Verantwortung stehlen“ könne. Hamburg habe nach Berlin die zweitgrößte Schwulenszene und die zweithöchste Zahl an HIV-Infizierten und Aids-Erkrankten. Ohnehin würde der Senat vor allem durch eine „verantwortungslose Verharmlosung“ auffallen.
Als Beispiel nennt Müller Justizsenator Roger Kusch, der die Kürzungen bei Aids-Projekten vor wenigen Wochen in einem Interview mit dem Satz rechtfertigte: „Heute ist HIV nicht mehr anders wahrzunehmen als andere Krankheiten“.
Ein flammender Appell, sich mittels Safer Sex vor dem tödlichen Virus zu schützen, klingt anders.