Wochenschnack
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Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.

Gedeale und Gekungel

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist Kandidat. Wegen dessen poli­ti­scher Vita sagen taz-LeserInnen nein. Und warum gibt es keine Kandidatin?

Probleme mit Präsidenten? Say it loud! Foto: reuters

Konsenssoße

betr.: „Er ist nicht der Richtige“,taz vom 15. 11. 16

Martin Kaul hat völlig Recht und ich kann nicht verstehen, dass die Grünen ernsthaft überlegen, Steinmeier mitzuwählen, anstatt eine eigene Kandidatin oder einen eigenen Kandidaten aufzustellen. Immerhin hat Steinmeier so einiges mit zu verantworten, was mit der Verteidigung von Freiheitsrechten und der Unterstützung einer ökologischen, sozialen und liberalen Politik kaum vereinbar ist. Eine moderate Außenpolitik ist noch lange keine hinreichende Qualifikation für die Bewerbung als Bundespräsident. Und „last but not least“ gibt es für die nächsten fünf Jahre wieder keine erste Bundespräsidentin.

Dabei gäbe es sehr wohl eine zumindest de facto parteiübergreifende Kandidatin, die gerade in Zeiten von NSA und Terror wie keine Zweite dafür steht, dass nicht mit fadenscheinigen Argumenten, die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit mehr und mehr zu Ungunsten der Freiheit verschoben wird, die in ihrer aktiven Zeit als Bundespolitikerin immer Mut bewiesen hat, wenn es darum ging, die persönlichen Freiheitsrechte zu verteidigen, und sogar bereit war, sich gegen die eigene Partei und Regierung zu stellen und ihr Amt zu opfern, die jetzt wieder federführend eine Klage gegen das neue BND-Gesetz vorbereitet und die sogar den juristischen Sachverstand besitzt, Gesetze zu beurteilen, bevor sie diese unterzeichnet: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger als Kandidatin der Grünen hätte zwar wegen der großen Konsenssoße genannt „Kroko“ keine echte Chance, wäre aber ein Angebot für alle echten fortschrittlichen Liberalen, die Mut und unabhängiges Denken in der Politik zu würdigen wissen und endlich nach fast 70 Jahren die erste Bundespräsidentin im Schloss Bellevue haben wollen.

MARKUS STEUERNAGEL, Frankfurt am Main

Unaufrichtig

betr.: „Er ist nicht der Richtige“, taz vom 15. 11. 16

Martin Kauls Ablehnung Frank-Walter Steinmeiers als Bundespräsident teile ich nicht. Bei jemandem mit derart hohen Zustimmungswerten quer durch die Bank sehe ich nicht die Gefahr, dass rechte Demokratiefeinde besonders viele Angriffspunkte finden, seine Zugehörigkeit zum Establishment hin oder her.

Was den Prozess der Kandidatenfindung angeht, sieht es aber ganz anders aus. Wenn nach langwierigem, öffentlich sichtbarem parteitaktischem Lavieren die Kanzlerin, deren Fraktion bis zuletzt versucht hat, Steinmeier als Präsidenten zu verhindern, vor die Presse tritt und sagt, Steinmeier sei für das Amt „ausgezeichnet geeignet“, dann ist das offensichtlich unaufrichtig. Das ist genau die Art von Politsprech, an die wir uns längst gewöhnt haben, die aber zum jahrzehntelang kultivierten Klischee des mauschelnden, taktierenden und lügenden Politikers beiträgt. Dieses Bild wurde immer gern von sämtlichen Satire- und Humorformaten aufgegriffen und findet sich auf der Straße und am viel zitierten Stammtisch in der alltäglichen Kommunikation. Jetzt wird eine Denkrichtung populär, die sagt: „Das Klischee ist wahr. Es betrifft die gesamte etablierte politische Klasse. Wir wollen nicht mehr darüber lachen. Wir ziehen radikale Schlussfolgerungen, weil sonst niemand jemals eine Schlussfolgerung zieht.“ Und mir gehen langsam die Gegenargumente aus.

WILLI BAHRENBERG, Düsseldorf

Sehr befremdlich

betr.: „Große Koalition steht“, taz vom 15. 11. 16

Nach dem großen Polittheater von CDU und SPD um die Nominierung des Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten hat man sich nun endlich auf Frank-Walter Steinmeier geeinigt. Angela Merkel hat wieder einmal geschickt taktiert und im Hinblick auf die nächsten Bundestagswahlen auch einen gemeinsamen Kandidaten der Großen Koalition nominiert.

Leider ist Herr Steinmeier jedoch keine gute Lösung , auch wenn aktuelle Umfragen ihn in der Bevölkerung als beliebt erscheinen lassen, was ich angesichts seiner politischen Vergangenheit höchst befremdlich finde. Ich habe beispielsweise nicht vergessen, wie er sich seinerzeit im Fall des unschuldigen Guantánamo-Häftlings Murat Kurnaz verhalten hat und einen deutschen Staatsbürger im Stich ließ.

Auch seine aktive Mitwirkung an der Agenda 2010 und der Hartz-IV-Gesetzgebung, die zu großen sozialen Verwerfungen in unserer Gesellschaft geführt haben, ist bei mir überhaupt nicht vergessen! Der Außenminister steht für Kontinuität und Konservatismus, doch „ein ewig weiter so“ darf es nicht mehr geben! Was wir in Deutschland brauchen ist eine integrative Persönlichkeit, die wirklich alle Bürger mitnimmt und bei der Lösung unserer massiven sozialen Probleme ein gewichtiges Wort mitredet.

THOMAS HENSCHKE, Berlin

Gepokert

betr.: „Der Neue auf dem Denkmal“, taz-Wahrheit vom 17. 11. 16

Da haben also die Fraktionsvorsitzenden des Bundestags in irgendeinem Hinterzimmer so lange gepokert und gedealt, bis endlich Steinmeier als Kandidat für die „Gauckschaft“(Kompliment an taz-Wahrheit-Dichter Reinhard Umbach!) feststand, alternativlos. Für das oberste Amt im Staate waren allein parteitaktische, machtpolitische Überlegungen ausschlaggebend, nicht etwa persönliche Qualitäten. Die Presse im In- und Ausland tituliert Steinmeier bereits als Bundespräsidenten, dazu gehört angesichts der Mehrheitsverhältnisse keine große prophetische Gabe. Ist das Demokratie? Können wir uns jetzt eine Bundesversammlung im Februar 2017 sparen und die Kosten dafür sinnvoller ausgeben?

MARLIES BEITZ, Stuttgart

Unterm Hermann

betr.: „Der Neue auf dem Denkmal“, taz-Wahrheit vom 17. 11. 16

Lieber Reinhard Umbach, das Gedicht ist wunderschön und bei Leuten aus Lippe-Detmold hochwillkommen, aber bestimmt versteht niemand, der nicht unterm „Hermann“, dem Hermannsdenkmal, aufgewachsen ist, was Sie meinen. Dazu müssten vor allem die lippischen Dörfer Mossenberg und Talle (Schröder) sowie Brakelsiek (Steinmeier) genannt und gewürdigt werden! Sie haben es verdient! Dass beide Herren kein reines Cheruskerblut in den Adern haben, sondern teilweise „auß’n Osten“ kamen, muss man dagegen nicht an die große Glocke hängen. Bärbel Haude, Hillentrup bei Lemgo

Es langweilt

betr.: „Er ist nicht der Richtige“, taz vom 15. 11. 16

Siebzig Jahre Männerrepräsentation an der Staatsspitze Deutschlands (inklusive DDR). Dieses ewige Gekungel und Gerangel um den letzten dicken Knochen als Leckerli für verdiente männliche Politpersönlichkeiten. Diese Benutzung bester Frauen wie Süssmuth, Hamm-Brücher, Rinser, Schwan, um nur einige zu nennen, als Alibi für eine demokratische Präsidentschaftswahl!

In den meisten Medien wurde diesmal nicht einmal von der Möglichkeit einer Kandidatin (abgesehen von Frau Käßmann) ausgegangen. Immer nur war die Rede von Kandidat und Bundespräsident. Irgendwie fühle ich mich als Frau nicht mehr durch das Bundespräsidialamt vertreten. Es langweilt mich nur noch.

Astrid Rühle, Bedheim