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Archiv-Artikel

Für das Land ihrer Väter

Lange hat der DFB mit dem türkischen Fußballverband um Nuri Sahin gestritten. Der BVB-Spieler wurde in Deutschland geboren. Spielt er für die türkische Nationalmannschaft, hat der DFB verloren

VON TOBIAS SCHÄCHER

Bei der letzten Sonntag zu Ende gegangenen Fußball-Weltmeisterschaft der U17-Junioren in Peru verzauberte der Türke Nuri Sahin die ganze Welt. Der defensive Mittelfeldspieler war mit vier Einschüssen zweitbester Torschütze und hatte beim Rückflug nach Istanbul den bronzenen Ball des drittbesten Turnier-Spielers im Gepäck. Arsène Wenger, der Trainer von Arsenal London, nennt Sahin den „interessantesten Spieler im Nachwuchsfußball weltweit“, Chelsea London bietet für den in Lüdenscheid geborenen Türken von Borussia Dortmund angeblich über fünf Millionen Euro Ablöse. Hans-Joachim Watzke, Geschäftsführer der BVB-Aktiengesellschaft, sagt über den bis 2009 an die Westfalen gebundenen Sahin: „Nuri ist unverkäuflich“, und fügt hinzu: „Der Junge ist unsere Zukunft.“

Wer von dem schmächtigen Kerlchen spricht, tut dies in Superlativen: Bester Spieler der U16-EM, bester Spieler der U17-EM, mit 16 Jahren und 335 Tagen jüngster Spieler, der je in der Bundesliga eingesetzt wurde. Und wenn der türkische Nationaltrainer Fatih Terim seine Ankündigung wahr macht, und „dieses Juwel“ (Terim) am Samstag im Atatürk Olimpiyat Stadi von Istanbul beim Testspiel gegen Deutschland in der A-Nationalmannschaft einsetzt, dann wird Nuri Sahin auch als der bislang jüngste türkische Nationalspieler in die Annalen eingehen.

Seit Montag befindet sich Sahin erstmals im Kreis von Terims Eliteauswahl. Dass er ausgerechnet gegen Deutschland debütieren soll, hat Symbolcharakter. Seit Jahren streiten der türkische und der deutsche Verband um die besten in Deutschland geborenen, türkischstämmigen Fußballer. Mit einem Einsatz in der A-Nationalmannschaft wäre Sahin für den DFB ein für allemal verloren. Zwar können Talente mit mehreren Staatsbürgerschaften die Nationaltrikots im Nachwuchsbereich wechseln, bis sie 21 Jahre alt sind, mit einem Einsatz in der A-Mannschaft aber erlischt diese Option.

Nuri Sahin hat seine Entscheidung längst getroffen. Vor ein paar Wochen sagte der angehende Abiturient im türkischen Fernsehen: „Ich spiele nur für die Türkei.“ Zuvor hatte Fatih Terim höchstpersönlich bei Nuris Vater Savas angerufen und sich dessen Unterstützung versichert. „Über 80 Prozent der türkischstämmigen Talente entscheiden sich für das Land ihrer Väter“, sagt Michael Skibbe, der Nachwuchskoordinator des DFB. Dennoch ließ Skibbe bis zuletzt nichts unversucht, um „dieses außergewöhnliche Talent“ (Skibbe) für den DFB zu gewinnen. „Bei Nuri spielen Gefühle eine große Rolle“, glaubt Skibbe. Aber nicht nur die emotionale Verbundenheit mit dem Herkunftsland ihrer Eltern fällt für die Einwandererkinder bei ihrer Entscheidung schwer ins Gewicht. „Wer von den türkischstämmigen Spielern hat denn je langfristig den Sprung in die deutsche Nationalmannschaft geschafft?“, fragt Metin Tekin, der Leiter des Kölner Europabüros des türkischen Fußballverbandes. Er wartet die Antwort erst gar nicht ab. „Keiner“, sagt Tekin schnell. Der 52-Jährige nennt die zwei Spiele, die Mustafa Dogan Ende der 90er Jahre unter Erich Ribbeck im DFB-Trikot absolvierte, „Alibieinsätze“. „Als wir 2002 WM-Dritter wurden, standen drei in Deutschland geborene Türken in der Stammformation: Ilhan Mansiz, Yildiray Bastürk und Ümit Davala“, sagt Tekin. Diese Beispiele seien auch eine starke Motivationsquelle für die nachwachsende Generation.

Tekin, der einst Joachim Löw bei Fenerbahce Istanbul assistierte, hat Nuri Sahin entdeckt. Er beobachtete den 14-Jährigen bei einem Hallenturnier, als dieser noch für den RSV Meinerzhagen kickte. „Wir sind oft einfach schneller als der DFB“, sagt Tekin.

15 Honorartrainer suchen in Deutschland, den Beneluxstaaten, Skandinavien, Österreich und der Schweiz nach Talenten. „In den letzten Jahren haben wir 80 Spieler für unsere Nationalmannschaften gesichtet“, sagt Tekin stolz. Am Samstag stehen die in Gelsenkirchen geborenen Altintop-Zwillinge, Halil vom 1. FC Kaiserslautern und Hamit vom FC Schalke, der in Karlsruhe aufgewachsene Serhat Akin vom RSC Anderlecht, Yildiray Bastürk, der Herthaner aus Herne und Nuri Sahin im Kader der Türkei. Das nächste Talent, das Fatih Terim berufen will, heißt Tevfik Köse. Der Angreifer stürmt für Bayer Leverkusen und ist vor 17 Jahren in Düsseldorf geboren.