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DIE FRAKTIONEN EMANZIPIEREN SICHSchluss mit Durchwinken

SPD und CDU im Parlament fordern ihren Senat heraus

VON STEFAN ALBERTI

Checks and balances, gegenseitige Kontrolle der Verfassungsorgane, Gewaltenteilung: all diese schönen Begriffe beschreiben den idealen Zustand im Parlament, wenn sich die Mehrheitsfraktionen nicht darauf beschränken, die Vorlagen ihrer Parteifreunde in der Regierung durchzuwinken. Oft war das in den vergangenen Jahren pure Theorie: Rot-Rot beschloss im Abgeordnetenhaus vorwiegend, was Klaus Wowereit wollte. Bei der A 100 und beim GSW-Börsengang gab es zwar offenen Widerstand einer Minderheit; letztlich aber besorgte der damalige SPD-Fraktionschef Michael Müller dem Regierenden die Mehrheit.

Sein Nachfolger Raed Saleh und dessen CDU-Kollege Florian Graf zeigen jetzt erneut, dass es auch anders geht und was konstruktive Kritik bedeutet: nicht blockieren, sondern selbst Alternativen erarbeiten. Beide hatten schon vor einer Woche bei ihrer Jahresbilanz das Arbeitstempo und den Streit im rot-schwarzen Senat kritisiert. Mit dem jetzigen Vorstoß in der Liegenschaftspolitik ziehen sie wichtige Kompetenzen der Landesregierung an sich. Mit den Vorschlägen für Stadtwerke und Stromproduktion gehen sie über Kontrolle hinaus: Sie zeigen einen Weg, mit dem Energietisch einig zu werden.

Treibende Kraft ist dabei Saleh. Zuletzt sah es so aus, als wäre seine anfängliche Selbstbehauptung nur von kurzer Dauer. Zu Beginn der rot-schwarzen Zusammenarbeit hatte er sich gleich dreimal dem Senat widersetzt: Mit Graf handelte er 50 Millionen Euro mehr für die Bezirke aus; später forderte er, die S-Bahn-Verträge offenzulegen, und stritt sich mit Wowereit und der Arbeitssenatorin über den Mindestlohn für öffentliche Beschäftigungsmaßnahmen. Zuletzt aber schien es Saleh zu genügen, sich als wichtiger Player etabliert zu haben.

Parlament ernst nehmen

Jetzt aber zeigt er erneut mit Graf, dass der Senat das Parlament ernst nehmen muss und nicht als sichere Abstimmungsmaschine betrachten kann. Die Koalitionsfraktionen sind zwar noch um einiges davon entfernt, das Machtzentrum der Landespolitik zu sein, wie es früher in München die CSU-Fraktion war. Aber sie haben mit ihrer Arbeit jene widerlegt, die Parlamente wie ein früherer Kaiser als bloße Quatschbuden betrachten.

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