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Archiv-Artikel

DVDESK Spielen, als wären sie Stars

Die endlose Nacht (Deutschland 1963; Regie: Will Tremper)

Großartig, wie die Darsteller von Hannelore Elsner bis Harald Leipnitz inszeniert sind

Der Ort: Flughafen Tempelhof. Das Jahr: 1963. Das Wetter: Schlecht. Nebel verhindert alle Starts und Landungen. Bleibt also nur: Warten. Und da sitzen sie nun und stehen sie nun und gehen sie nun in der Halle des beeindruckenden Nazibaus und harren der Dinge, die ausbleiben oder kommen. Will Tremper, zuständig für Buch und Regie, hat ein beachtliches Figurenensemble versammelt und spielt Schicksal mit ihm. Da ist der bankrotte Geschäftsmann, der sich in letzter Sekunde mit allen Mitteln noch Kredit zu verschaffen versucht – indem er seine Geliebte einem Millionär an den Hals wirft. Da ist die junge Schauspielerin, die ihre letzte Mark beim Friseur ausgegeben hat und nun hungert und raucht (immerhin) und hier und da von jemandem erkannt wird. Später begegnet sie einem älteren Mann, der statt im Flughafen eigentlich auf der Bühne stehen sollte, als König Lear in Hannover. Ein Südafrikaner versucht, eine attraktive amerikanische Fluglinienangestellte zu verführen. Weil sonst nichts zu tun ist, machen sie schon Pläne für gemeinsame Häuser und Kinder. Für den comic relief sitzen zwei alte Damen herum und beginnen irgendwann, einen nach dem andern zu zwitschern. Ein Mann betrügt seine Frau und dann ist da noch die polnische Jazzcombo, die zur Unterhaltung der andern am frühen Morgen, das Klavier wird aus der Kneipe schnell in die Halle gerollt, den Jazz von Peter Thomas zu spielen beginnt, der auf der Tonspur schon die ganze Zeit hinreißt.

Dies und noch viel mehr passiert in dieser Nacht. Eigentlich ein Drama neben dem andern, Tremper aber und sein Kameramann Hans Jura kriegen dabei eine Lässigkeit hin, die schon mal in vollendete Eleganz übergeht. Die Bilder sind oft sehr schön komponiert, aber jederzeit sind Rhythmusveränderungen möglich, da hetzt und wetzt die Kamera mit verzweifelt wie auf der Stelle rennenden Menschen mit. Dabei stellt sich das Bild nie in den Vordergrund, auch die Dialoge sind nie zu explizit. Man würde ja überhaupt fürchten, dass so ein aus der künstlichen Situation heraus gemünztes Multipersonendrama in einem deutschen Film der Sechzigerjahre allzu existenziell gemeint sein könnte. Aber nicht bei Will Tremper. Hier wird gewartet, aber auf Abflug und nicht auf Godot. Zwischendurch wird auch improvisiert, ganz umwerfend ist das in einer Szene, in der die Ehefrau ihren sie betrügenden Ehemann mit Lockenwicklern im Haar zur Rede stellt. Abrupte Haltlosigkeit plus repetitiver Redeschwall plus die meiste Zeit vom Bildrahmen abgeschnitter Ehemannhals: toll. (Eine der wenigen Sequenzen, die nicht im Flughafen spielen.)

Tremper wird heute als früher Autorenfilmer gepriesen, hat die späteren Autorenfilmer mit Ausnahme Fassbinders aber wenig geschätzt. Eigentlich war er und blieb er ein dem Boulevardesken zugeneigter Schreiber für die Zeitungen und die Illustrierten. Einer, dem immer was einfiel und der nach zwei Handvoll Drehbüchern (zu „Die Halbstarken“ etwa) und Filmen (darunter noch der umwerfende „Playgirl“) sich wieder dem Schreiben zuwandte und das Filmemachen wenig vermisste. Fürs deutsche Kino im Großen und Ganzen ein Jammer. Großartig auch, wie hier die Darsteller von Hannelore Elsner bis Harald Leipnitz in Szene gesetzt werden. Die meisten von ihnen waren (noch) keine Stars, aber alle sehen sie aus und spielen sie auch, als wären sie welche. Wenn man den Film heute sieht, kommt einem „Die endlose Nacht“ vor wie ein Traum, den das deutsche Kino kurz mal von sich als einem ganz anderen hatte. Dann ist es wieder erwacht und war leider für Jahre wieder es selbst. EKKEHARD KNÖRER

■ Die DVD ist ab rund 15 Euro im Handel erhältlich.