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Leben mit Geistern

Nach Fukushima Zwischen Lebenden und Toten bewegt sich ein Stück von Toshiki Okada im HAU

Nein, Bewegungstheater ist Okadas Sache nicht. Seine drei Schauspieler Izumi Aoyagi, Mari Ando und Yo Yoshida kommen in der gut eine Stunde dauernden „Time’s Journey Through a Room“ zusammen auf kaum 60 Schritte. Äußerst reduziert ist ihr Bewegungsradius, sehr sparsam sind die Gesten.

Der japanische Regisseur Toshiki Okada ist als Minimalist bekannt, geschätzt, ja geliebt. Tatsächlich entwickeln seine radikal entschleunigten Theaterabende einen seltsamen Sog. In der aktuellen Arbeit verschmilzt seine Ästhetik zudem mit dem Thema der Traumabehandlung nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima und kreiert eine ganz eigene Welt. Drei Personen sind anwesend: ein Mann, seine vier Tage nach der Katastrophe verstorbene Frau Honoka und die sich zur neuen Freundin entwickelnde Besucherin Arisa. Von ihm sieht man eine gefühlte Ewigkeit lang nur den Rücken. Er reagiert nur, wenn eine der Frauen das Wort an ihn richtet.

Honoka, die Verstorbene, kramt Erinnerungssplitter aus einer Welt kurz vor und kurz nach der Katastrophe. Die wird in dem Stück, wie oft auch in den japanischen Medien, mit der Bezeichnung „Erdbeben“ markiert – ganz so, als sei die Naturkatastrophe das Hauptereignis, während hierzulande die Betonung auf der Reaktorkatastrophe, also dem von Menschen verantworteten Unheil, liegt. Eine markante Differenz.

Honoka erinnert an Alltagsrituale, an den letzten Streit. Sie ruft ins Bewusstsein zurück, wie die Zeit unmittelbar nach der Katastrophe die Lebensgeister ganz besonders weckte und Wellen der Solidarität erzeugte. „Dank dieses Erdbebens konnten wir neu anfangen. Ich bin sehr froh, dass ich mich am Ende meines Lebens noch so verändern konnte“, sagt sie – und wirkt so lebendig, nein: so tot, wie die mit ihr im Raum versammelten Lebenden.

Die Bewegungen aller sind so sparsam, als würde jede Muskelanstrengung schier übermenschliche Kraft erfordern. Natürlich kann man eine Verbindung zur Tradition des Nō-Theater ziehen, in dem Gespenster und Menschen die gleiche Materialität haben. Ando bezaubert als Arisa vor allem dann, wenn sie mit leerem Gesicht von ihrem aktuellen Glück erzählt – und der Mann ihr sagt, dass das, was ihn zu ihr hinziehe, ihr Ausdruck von Unglück und Hoffnungslosigkeit sei.

Da strömen in das Emotionsvakuum, das Okada so kunstvoll aufrechterhält, Wellen von Gefühl herein. Für einen Moment aber nur. Dann herrscht wieder Ruhe, Totenruhe, unterbrochen nur vom Surren des Ventilators auf dem Boden. Von der ausgefeilten Klanginstallation, die Tsuyoshi Hisakado auf der Bühne eingerichtet hat, bekommt der des Japanischen nicht mächtige Zuschauer wenig mit; zu sehr ist er mit dem Lesen der Übertitel und der Kontrolle, ob sich im Spiel nicht doch eine subtile Veränderung ereignet, beschäftigt. Ein seltsamer Zauber, der aus der Ahnung erwächst, wie stark Menschen durch Katastrophen verändert sein können, liegt auch Stunden nach der Performance noch auf Leib und Seele. Okada ist ein Magier des Atmosphärischen. Tom Mustroph

Wieder heute, 19 Uhr, HAU 3

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