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„Die Stadt braucht die Vielfalt der Presse wie frische Luft“

Gesichter der taz I Karolina Meyer-Schilf ist ein neues Gesicht bei der Bremer taz. Über die Arbeit in der Redaktion, damals und heute, und die Perspektiven des Papiermediums spricht sie mit Elke Heyduck, Redakteurin der taz.bremen von 2000 bis 2005, heute Mitglied der Geschäftsführung der Bremer Arbeitnehmerkammer

Karolina Meyer-Schilf: „Qualität setzt sich durch“ Foto: Nikolai Wolff/Fotoetage, fotografierte von 1993 bis 2000 regelmäßig für die Bremer taz, seitdem unregelmäßig

Interview: Klaus Wolschner

taz: Als die taz.bremen 1986 gegründet wurde, herrschte in der Redaktion die Meinung vor, alles würde besser, wenn die Regierung gestürzt und die SPD nicht mehr über eine absolute Mehrheit verfügen würde. Erwartet man heute aus Erfahrung weniger von Regierungswechseln?

Elke Heyduck (HEY): Ich stelle für Bremen fest, dass der Umgang mit unseren Oberen heute relativ zahm ist, die kritische Distanz war mal größer und das hat dem öffentlichen Diskurs gut getan. Manchmal ist das allerdings sehr weit gegangen, auch bei der taz. Nach dem Motto: ‚Wenn ich schon nicht selbst Senator werde, dann muss ich wenigsten einen stürzen mit meinen Artikeln.‘ Das sind vielleicht auch schlichte Männer-Macht-Geschichten. Aber es ist schon so, dass wir damals gedacht haben: Wir machen selber auch Politik. Wir schreiben nicht nur darüber. Wir mischen uns tief ein, um die politischen Verhältnisse zu beeinflussen.

taz: Hat die taz heute mehr einen sozialen Schwerpunkt als einen politischen?

HEY: Die taz war immer ein Medium, in dem man nicht nur die vermeintlich große Politik gewälzt hat. Man konnte mit viel Platz soziale Themen aufgreifen und sagen: Hier, hier im Quartier, spielt die politische Musik. Oder auf der Neugeborenen-Station im Krankenhaus. So etwas wurde bei der taz nie als „buntes“ Thema abqualifiziert.

Karolina Meyer-Schilf (KMS): Ich habe nicht per se das Bedürfnis, Minister zu stürzen. Ich würde mir das jedenfalls nicht als Trophäe über den Schreibtisch hängen. Der Journalismus ist eine eitle Branche, deswegen tut man manchmal gut daran, sich etwas zurückzunehmen.

HEY: Karolina, seit wann hast du geahnt, dass du Journalistin werden willst und ausgerechnet bei der taz?

KMS: In der 9. Klasse habe ich ein Schulpraktikum gemacht in der Lokalredaktion Mölln der Lübecker Nachrichten. Über das Studium habe ich das ein bisschen aus den Augen verloren. Dann kam – das darf ich hier wahrscheinlich gar nicht sagen – ein Praktikum bei der Bild-Zeitung in Bremen.

Karolina Meyer-Schilf

Jahrgang 1982, hat Geschichte, Politik- und Rechtswissenschaft in Bremen, Oldenburg und Wien studiert. Danach wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Bundeswehr-Universität in Hamburg und promoviert seit 2012 an der Uni Bremen. 2014 bis 2016 machte sie ein Volontariat beim Magazin Yacht. Seit 2016 ist sie bei der taz.bremen (Kürzel: „KMS“).

HEY: Die Bremer Bild-Redaktion war immer recht angenehm.

KMS: Das Praktikum war super, total interessant. Um ein Volontariat habe ich mich aber erst viel später beworben.

HEY: Was kam dazwischen?

KMS: Ich habe studiert und eine Uni-Stelle gehabt als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Bundeswehr-Uni in Hamburg. Ich bin Historikerin, das ist toll, aber nur in Archiven oder allein im Büro sitzen, war nicht mein Leben. Das hat mich zurück in den Journalismus getrieben.

HEY: Was hast du geforscht?

KMS: Über den Umgang mit Kriegsinvalidität im spätmittelalterlichen Schweizer Söldnertum. In Bremen, wo ich studiert habe, gibt es einen Arbeitsschwerpunkt „Disability History in der Vormoderne“. Es geht darum, wie kranke oder behinderte Menschen in früheren Zeiten behandelt wurden. Seitdem liegt da eine immer noch unvollendete Dissertation vorwurfsvoll auf meinem Schreibtisch.

Hey: Und dein Volontariat?

Elke Heyduck, Redakteurin der taz Bremen von 2000 bis 2005

KMS: War bei der Zeitschrift Yacht.

HEY: Die Yacht?

KMS: Manchmal arbeite ich noch frei für die Yacht, und ein Leser hat mir jüngst gestanden, dass die taz seine Lieblingszeitung und er Mitglied der taz-Genossenschaft der ersten Stunde sei. Die Yacht ist ein Special-Interest-Titel und die taz im Grunde auch. Natürlich mit einem anderen Schwerpunkt. Der Tagesjournalismus war am Anfang natürlich stressig, aber das gefällt mir gut.

HEY: An den Produktionsstress erinnere ich mich natürlich gut. Aber auch an meine Anfänge. Vor lauter Druck saß ich tagelang vor einem weißen Blatt und leeren Bildschirm und hatte die totale Schreibblockade. Ich kannte vorher nur das Schreiben an der Uni, ich hatte Praktika bei Bremer Monatsmagazinen gemacht und habe schließlich bei der just gegründeten Schlachthof-Zeitung Z mitgemacht. Von da aus bin ich zur taz fürs Volontariat und anschließend als Redakteurin übernommen worden. Aus diesen Jahren habe ich unglaublich viel mitgenommen für meine spätere berufliche Arbeit. Um auf den Produktionsdruck zurückzukommen: Diese Einsicht, dass es auch mal richtig schnell gehen muss, die ist wichtig. Es stimmt eben nicht, dass alles Gute seine Weile braucht.

KMS: Was hattest du eigentlich beruflich vor?

HEY: Als Kind wollte ich Blumenhändlerin werden. Stattdessen habe ich in Bremen Kulturwissenschaften studiert und bin dann ans Kulturzentrum Schlachthof gekommen. Ich hätte da erstmal bleiben können, aber ich wollte in diesem Beruf nicht alt werden. Ehrlich gesagt wollte ich damals nicht unbedingt Journalistin werden, ich habe mich beim Marketing der Glocke beworben und bei der Bremer taz. Die Zusage der taz kam schneller und darauf hatte ich schon auch mehr Lust. Immerhin hatte ich dort mal Praktikum gemacht, noch in den völlig verqualmten Räumen am Dobben. Da herrschten Hektik und Spaß und ich war zugleich verschreckt und beeindruckt.

Elke Heyduck: „Die Arbeit bei der taz war die abwechslungsreichste, die ich hatte“ Foto: Nikolai Wolff/Fotoetage

KMS: Was waren deine Lieblingsthemen?

HEY: Zu meiner Zeit haben alle alles gemacht, lokal eben. Sicher gab es Schwerpunkte. Mich hat besonders die Stadtentwicklung interessiert, auch Soziales. Ich weiß noch, dass ich für meinen ersten großen Artikel von der Redaktion auf den Freimarkt geschickt wurde. Da war Tag der Behinderten, und ich bin mit einem Behinderten dorthin gegangen. Der hat gesagt: Ich will keinen Sonderstatus. Er hat mir auch erklärt, dass der Tag für die Behinderten vom Freimarkt angeboten wird, weil die anderen Besucher keine sabbernden Gesichter sehen wollen. Wir sind damals ins Bayernzelt, da wurden die behinderten Besucher bewirtet. Die bekamen, so stellte es sich für mich dar, fünftklassige Waffeln aus großen Tüten. Ich habe mit den Leuten gesprochen und siehe da, viele aus den Werkstätten fanden das ganz toll da. Die haben sich gefreut, dass sie nicht zwischen „Normalen“ sitzen müssen und nur schief angeguckt werden. Das war für mich ein ganz aufregendes Thema, ich musste mir ruckzuck eine Meinung bilden und mir überlegen: Was habe ich dazu eigentlich für eine Haltung? taz, das ist für mich immer auch Haltung. Man beschreibt nicht nur Sachverhalte. Ich bin aber übers Ziel hinausgeschossen und hab meine Meinung dann gleich in den Artikel mit reingepackt. Das ging so nicht durch. Eine Redakteurin, die mich ausgebildet hat, sagte zu mir als Frischling: ‚Wenn Du eine Meinung hast, dann schreib einen Kommentar‘. Hab ich dann auch. Auch das hab ich dort gelernt: Meinungsstärke – aber auch die Trennung von Meinung und Darstellung.

KMS: Aber dann bist du weggegangen.

HEY: Die Arbeit bei der taz war die abwechslungsreichste berufliche Tätigkeit, die ich hatte und ich habe nie soviel gelernt wie in diesen Jahren. Aus mehreren Gründen musste ich mir aber etwas anderes suchen, ich war alleinerziehend, so viel Arbeit und so wenig Geld, das ging nicht mehr. Und die Arbeitszeiten sind ja leider auch nicht die familienfreundlichsten.

KMS:Ich mache derzeit auch was ansteht, ich mag dieses journalistische Schwarzbrot. Jeden Tag fragen, was liegt an. Ich freue mich aber immer, wenn die taz etwas zum Thema Antisemitismus macht, das ist mir sehr wichtig. Ich kann mich auch durchaus für Frauenthemen erwärmen, obwohl ich mich nicht als Feministin verstehe. Ich habe bisher aber noch nicht die Gelegenheit gehabt, einen Schwerpunkt zu entwickeln.

Elke Heyduck

Jahrgang 1967, hat Germanistik und Kulturwissenschaften in Bremen studiert. 1995 wurde sie am Bremer Kulturzentrum Schlachthof Redakteurin des Magazin Z. Von 2000 bis 2005 war Heyduck Redakteurin der taz.bremen (Kürzel: „hey“). Seit 2005 ist sie bei der Arbeitnehmerkammer Bremen: Zunächst wurde sie Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit, inzwischen ist sie Leiterin der Politikberatung und Mitglied der Geschäftsführung.

HEY: Ich fand es gut, dass es keine Ressorts gab. Man musste heute über ein geklautes Baby schreiben und morgen über einen Abteilungsleiter der Sozialbehörde, der überfordert war. Das fand ich gut!

KMS: Das ist ja heute auch so. Sich in kurzer Zeit durch ein Thema hindurchzufräsen, mittags ist man dann halbwegs schon Experte, und abends geht man nach Hause und sagt: geschafft. So gut es ging. Das ist das Schöne an dieser Arbeit. Und ich kann mir bestimmte Themen greifen und sagen: Das würde ich gern bearbeiten. Aber ich kann auch sagen: Zu diesem Thema habe ich gar keinen Zugang, will nicht jemand anderes das machen? Wenn man das sagen kann, garantiert das eine gewisse Qualität.

taz: Muss es die taz in Bremen neben dem Weser-Kurier geben?

KMS: Ich bin sehr froh, dass es die taz in Bremen gibt. Es muss hier kritischen Journalismus geben. Ich erinnere mich, als die Israel-Boykott-Aktionen in Bremen waren, da habe ich bei der Yacht gesessen und die Presse durchgeguckt. Wer hatte da berichtet? taz und Bild.

HEY: Die Stadt braucht Pressevielfalt wie frische Luft. Ich finde es goldrichtig, wenn es nicht nur eine Zeitung gibt. Nicht wegen der Frage, wer hat die Nachricht zuerst, sondern mehr: Welche Zeitung bringt welchen Tiefgang? Deswegen ist es wichtig, dass es den Weser-Kurierund die taz gibt. Die Auswahl der Themen überschneidet sich heute mehr, aber nicht die Haltung. Wenn wir bei der Arbeitnehmerkammer eine Pressekonferenz machen, sind es oft Volontäre der taz, die immer wieder nachfragen. Und ich merke dann mit Freuden, dass diese kritische Haltung, die ich mit der taz verbinde, dort immer noch auf dem Lehrplan steht.

„Der Journalismus ist eine eitle Branche, deswegen tut man manchmal gut daran, sich etwas zurückzunehmen“

Karolina Meyer-Schilf, Redakteurin bei der taz.bremen seit 2016

taz: Hat der Beruf der Papier-Journalistin noch eine Perspektive?

KMS: Die Arbeit muss nach wie vor gemacht werden, vielleicht gibt es keine festen Redaktionen mehr. Aber da gibt es noch Papiermedien, nur nicht mehr täglich.

HEY: Ich lese heute fast nur noch online. Ich glaube nicht, dass das Papier noch lange überleben wird. Wir müssen aber im Online-Journalismus zu mehr Qualität kommen. Da kann Schnelligkeit nicht alles sein. Das wird so nicht gehen. Außerdem hoffe ich, dass auch Online-Jobs halbwegs anständig bezahlt werden. Sonst wird das eine große Gefahr für den Qualitätsjournalismus.

KMS: Wenn man sich Stellenanzeigen derzeit anguckt, werden fast nur noch Social-Media-Redakteure gesucht. Will ich mein Leben damit verbringen, kleine animierte Dinger zu posten oder Teaser zu texten? Das ist ein völlig anderer Job. Ich denke aber, Qualität setzt sich durch.

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