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Archiv-Artikel

Zwergschulen sollen Filialschulen werden

Zahlenchaos im NRW-Schulministerium: Statt der angekündigten 1.000 Schulen sollen jetzt doch nur 60 Grundschulen geschlossen werden, weil sie zu wenig SchülerInnen haben. Grüne: „Rüttgers inszeniert sich als Robin Hood“

DÜSSELDORF taz ■ Eine Woche, zwei Zahlen: 770 Grund- und Hauptschulen seien ganz konkret von der Schließung bedroht, hatte NRWs Ministerpräsident Jürgen Rüttgers verkündet, bevor er in sein Ferienhaus nach Südfrankreich reiste. Bis 2016 stünden aufgrund sinkender Schülerzahlen sogar mehr als 1.300 Schulen vor dem Aus.

Am Freitag ruderte Schulministerin Barbara Sommer (CDU) zurück. Nur 60 Grundschulen müssten geschlossen werden, erklärte sie in einer Sondersitzung des Schulausschusses. Die Landesregierung werde aber gesetzliche Regelungen schaffen, um möglichst viele kleine Schulen zu erhalten. Eine Lösung sei die Zusammenlegung von „Zwergschulen“ zu einer Stammschule mit mehreren Dependancen und nur einem Leiter.

Die Sozialdemokraten hatten die Sondersitzung in den parlamentarischen Herbstferien beantragt, um „Fehlinformationen“ und „Lügen“ um die angekündigten Schulschließung aufzuklären. Jürgen Rüttgers müsse sich „in aller Form in der Öffentlichkeit und im Landtag für seine Fehler entschuldigen“, forderte die SPD-Oppositionsführerin Hannelore Kraft. Er habe mit seinen falschen Aussagen in Kommunen und Schulen „Sorgen und Ängste ausgelöst“, die er persönlich ausräumen müsse.

Eine Entschuldigung hatte jedoch auch Sommer, deren Ministerium Rüttgers mit falschen Zahlen versorgte, nicht im Sinn. Stattdessen kündigte sie ein verbessertes Schulgesetz an.

Mehr als zwei Stunden lang diskutierte der Ausschuss darüber, ob das Schulgesetz eine Schließung einzügiger Grundschulen vorschreibt. CDU und FDP lesen dies als „zwangsnotwendige Schlussfolgerung“ aus einem „widersprüchlichen rot-grünen Schulgesetz“ und den Vorgaben des Landesrechnungshofes.

„Das ist totaler Quatsch“, sagt dagegen die bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Sigrid Beer. „Im Gesetz steht, dass Grundschulen mindestens eine Klasse haben müssen.“ Dass das Schulministerium plötzlich von 60 gefährdeten Schulen spreche, zeige auch deutlich, dass die CDU ihre Fehlinterpretation erkannt – aber eben nicht eingestehen könne. „Die Zahl 60 gab es schon im alten Schulministerium“, sagt die Abgeordnete. „Rüttgers versucht sich nach der Panne im Schulministerium als Robin Hood der kleinen Schulen zu inszenieren.“

Sowohl die grüne Fraktionsvorsitzende Sylvia Löhrmann als auch die stellvertretende Fraktionsvorsitzende und ehemalige Schulministerin der SPD, Ute Schäfer, fordern noch immer eine Stellungnahme des Ministerpräsidenten. „Rüttgers muss klarstellen, ob seine Interpretation des Schulgesetzes gilt oder die des Schulministeriums“, sagt Schäfer. Dann stelle sich auch heraus, ob die „Falschaussage eine bewusste Täuschung oder Dilettantismus war.“

Schulministerin Sommer will in den kommenden Wochen die Filialschulen-Idee weiter ausarbeiten. Zusammenlegungen sparten Schulleiterstellen, erleichterten den Vertretungsunterricht und die Kommunen müssten keine zusätzlichen Bau- und Schülerfahrtkosten zahlen, so die Ministerin. Die Zwergschulen blieben so erhalten.

Ute Schäfer bewertet dies als Ansage, dass Zweizügigkeit künftig gesetzliche Vorschrift werde. In Kombination mit der angekündigten Abschaffung der Schulbezirke habe Schwarz-Gelb den „Verdrängungswettbewerb zum Programm erklärt, sagte auch SPD-Vize Axel Horstmann. Sommer verteidigte die freie Schulwahl mit den Worten, sie erleichtere die Entscheidung, „welche Schulen erhaltenswert sind.“ MIRIAM BUNJES