LIBERALE OHNE EINFLUSS: FÜR APOTHEKER WIRD ES KÜNFTIG HART
: Zeit der Zünfte ist vorbei

Wer wird Kanzler? Man weiß es nicht. Soll erst am Sonntagabend verraten werden. SPD-Chef Franz Müntefering verhehlt nicht, wie sehr er seine Allmacht über den Informationsfluss genießt. Er riet allen Journalisten, nicht schon vorab und voreilig die Entscheidungsschlacht Schröder gegen Merkel zu kommentieren. Könnte ja falsch sein. Diese Warnung hat was, muss man zugeben. Aber vielleicht lenkt der GROSSE KAMPF sowieso nur ab. Statt über unsichere Sieger zu spekulieren, könnte man sich doch über sichere Verlierer freuen – wie zum Beispiel die FDP.

Denn so viel ist deutlich: Für die Liberalen ist es egal, wer das Kanzleramt erobert. Sie bleiben trotzdem bedeutungslos. Das ist völlig neu und könnte Deutschland interessant verändern. Denn all die Apotheker, Mittelständler, Handwerker und Ärzte haben nun endgültig ihre Lobby verloren. Die Zeit der Zünfte ist vorbei. Ausländische Besucher hat schon immer erstaunt, dass viele Dörfer längst keinen Supermarkt mehr haben – aber immer noch eine Apotheke. Daraus schlossen die Fremden messerscharf, dass es sich in Deutschland wirklich lohnen muss, Medikamente zu verkaufen. Ähnlich überraschend sind die zahlreichen Zwangsmitgliedschaften. So muss sich jeder Betrieb bei einer Industrie- und Handelskammer melden; über die Arzthonorare verhandelt allein die Kassenärztliche Vereinigung. Auch die Begeisterung für die privaten Krankenkassen ist bei der FDP am deutlichsten ausgeprägt. Bloß nicht für die Arbeitslosen mitzahlen müssen.

Das ständische Denken könnte also endlich enden, das die Liberalen 60 Jahre lang so zäh verteidigt haben. Allerdings teilt nicht jeder diese Euphorie. Es bleibt wachsames Misstrauen zurück: War die FDP nicht auch bisher schon bedeutungslos? Warum sollte sich durch ihre erneute Ohnmacht irgendetwas ändern? Schon wahr, die Liberalen sitzen seit sieben Jahren in der Opposition. Aber trotzdem waren sie bisher nicht einflusslos. Denn die Union, dominant im Bundesrat, sah sich gezwungen, die Wünsche der FDP zu berücksichtigen. Schließlich gingen auch beide Parteien davon aus, dass sie gemeinsam die Regierung erstürmen würden.

Diese Hoffnung hat sich dauerhaft erledigt. Die FDP ist eine Funktionspartei ohne Funktion. Zwar können die Liberalen momentan mit stattlichen 9,8 Prozent prunken – aber viele Stimmen haben sie sich von der Union geliehen. Schwarz-Gelb insgesamt hat seit 2002 nicht hinzugewonnen. Es ist ein Lager ohne Zukunft. Das wird sich die Union merken – und zurück in die Mitte drängen. Weit weg von Apothekern und hoch bezahlten Verbandsfunktionären. ULRIKE HERRMANN