piwik no script img

Archiv-Artikel

Ungehorsam in Bus und Bahn

MOBILITÄT Zum zweiten Mal wollen Klimaaktivisten heute mit einem „Umsonstfahrtag“ für einen öffentlichen Nahverkehr demonstrieren, den sich jeder leisten kann

Kultur für 3 Euro

Ab dem 1. Januar können Empfänger von Sozialleistungen Karten für Kulturveranstaltungen für drei Euro kaufen. Eine halbe Stunde vor Beginn werden alle Restkarten an Hartz IV-Empfänger für den günstigen Tarif ausgegeben. In der Anfangsphase beteiligen sich das Bremer Theater, die Philharmoniker, die Kammerphilharmonie, Shakespeare Company und Schwankhalle an dem Kulturticket. Reguläre Tickets in diesen Einrichtungen kosten oft weit über zwanzig Euro. cja

Von Christian Jakob

16 Tage sind es noch bis zum UN-Klimagipfel in Kopenhagen, der nach allem, was bekannt wird, grandios scheitern dürfte. Für das Bremer Klimaplenum ist dennoch klar, wie auf lokaler Ebene effektiver Klimaschutz betrieben werden könnte: „Privater Autoverkehr ist hier für ein Viertel aller Treibhausgase verantwortlich und muss radikal runtergefahren werden“, sagt Sprecher Olaf Bernau. „Das geht nur mit dem Ausbau öffentlicher Verkehrssysteme – und die müssen drastisch günstiger werden.“

Zum zweiten Mal ruft das Plenum deshalb heute zu einem „Umsonstfahrtag“ auf. Um ihrer Forderung nach „Mobilität für alle“ Nachdruck zu verleihen, wollen sie ab 11 Uhr in Bussen und Bahnen der BSAG ohne Ticket fahren. Um 13 Uhr startet eine Demo am Hauptbahnhof.

Der Aktionstag ist eine Neuauflage. Ende Mai erprobte das Klimaplenum das Konzept zum ersten Mal. Damals strömten etwa hundert Menschen von der Domsheide aus mit Aufklebern und Flugblättern in die BSAG-Fahrzeuge. Um den Vorwurf der „Beförderungserschleichung“ zu vermeiden, meldeten sich die Gruppen stets beim Einsteigen als „Umsonstfahrer“ an. Die BSAG polterte vorher zwar ein wenig, ließ die Aktivisten letztlich aber weitgehend gewähren, ebenso wie die Polizei. Verstärkte Kontrollen gab es nicht.

In der Zwischenzeit hat Rot-Grün nun die Einführung eines Sozialtickets beschlossen. Ab dem 1. Januar sollen sich Empfänger von Sozialleistungen für 29,25 Euro ein Monatsticket kaufen können, Jugendliche zahlen 25,40 Euro. Der reguläre Tarif wird dann bei 47 beziehungsweise 32,80 Euro liegen. Der Senat rechnet mit einem Zuschussbedarf von 1,7 Millionen Euro im Jahr. „Das alles ist überhaupt nicht sozial“, findet Bernau. Denn der Regelsatz, also das, was Hartz IV-EmpfängerInnen im Monat für Mobilität gezahlt wird, liegt bei gerade mal bei 14,26 Euro. Die Preise für das Sozialticket seien ein „partieller Ausschluss“ von Menschen mit wenig Geld. „Mobilität ist ein Grundrecht – und sollte von der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellt werden, so wie Bildung oder Gesundheit“, sagt Bernau.

Im Prinzip sieht das auch Horst Frehe, der sozialpolitischer Sprecher der grünen Bürgerschaftsfraktion, so. Er habe sich gewünscht, dass das Sozialticket 15 Euro kostet – soviel, wie der Sozialleistungssatz für Mobilität. „Das war aber absolut nicht durchzusetzen.“ Das von der Größe vergleichbare Dortmund habe das Ticket für diesen Preis angeboten und rund 7 Millionen Euro Verlust pro Jahr gemacht. „1992 hat die Ampelkoalition in Bremen schon einmal ein Sozialticket erst eingeführt und dann ganz schnell wieder abgeschafft“, sagt Frehe. Um dies zu vermeiden, sei man nun mit einem höheren Preis eingestiegen. „Zeigt sich, dass der Zuschussbedarf nicht so hoch ist, kann man über Preissenkungen reden.“

Bernau lässt das Kostenargument nicht gelten: „Die Krise hat gezeigt: Wenn der politische Wille da ist, dann ist auch Geld da.“ Der Senat setze die falschen Prioritäten – nicht zuletzt, weil die Folgekosten der Erderwärmung enorm sein werden.

Völlig utopisch sei ein steuerfinanzierter Gratis-ÖPNV keineswegs. Städte wie das belgische Hasselt praktizierten dies bereits, andere Kommunen experimentierten mit solchen Modellen. Im Moment sehe es in Bremen jedoch anders aus: „Schon jetzt ist klar, dass durch die Schuldenbremse die Subventionen an die BSAG weiter zurückgefahren werden. Die Preiserhöhungen der nächsten Jahre stehen bereits fest“, sagt Bernau.